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Hilf mir, Jacques Cousteau: Roman (German Edition)

Hilf mir, Jacques Cousteau: Roman (German Edition)

Titel: Hilf mir, Jacques Cousteau: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gil Adamson
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vor und zieht unter Mrs. Drapers Stuhl eine Flasche hervor. Wenn ich mir Mr. Draper so ansehe, überrascht mich Mrs. Drapers Verhalten nicht.
    Auch meinen Vater bekomme ich ins Visier; er redet auf der anderen Straßenseite mit dem Bison. Ich habe unseren Nachbarn »Bison« getauft, weil er einen Riesenschädel und wolliges Haar mit einem viel zu tiefen Ansatz hat. Ich stelle mir eine Science-Fiction-Welt vor, in der alle so aussehen. Der Bison bewegt sich, als scharre er auf seiner Türmatte herum, die grelle Abendsonne wirft seinen bulligen Schatten an die Haustür. Mein Dad ist schon wieder aktiv. Das merke ich an seinem offenen, väterlichen Gesicht. Der Bison schüttet ihm sein Herz aus.
    Als Dad reinkommt, frage ich ihn: »Was hat er dir denn erzählt?« Andrew blickt flüchtig zu Dad hoch und zieht ein paarmal die Nase kraus, bis seine Brille wieder richtig sitzt.
    »Der Bison? Na ja, es liegt ihm im Magen, dass er so schrottige Anleihen verkauft, ganz zu Recht, weil es einfach fies ist. Er ist scharf auf Mrs. Shiffler, die unten an der Ecke wohnt, und … hm, ich glaube, das ist alles. Ach ja, den ersten Sex hatte er mit seiner Cousine.«
    Das ist bei meinem Vater das Neueste: Er redet jetzt mehr mit Leuten außerhalb der Familie, vor allem deshalb, weil er nicht mit Mum reden kann. Und er wird allmählich immer besser. Die Leute vertrauen ihm anscheinend, wollen sich ihm mitteilen; er ist der Fremde im Zug. Nach einem Blick auf ihn kommen sie zu dem Schluss, sie würden sich viel wohler fühlen, wenn sie ihr nagendes kleines Geheimnis los wären. Männer beichten Impotenz, Steuerbetrug, den Wunsch, frontal in den Gegenverkehr hineinzufahren. Eine Dame hat gestanden, dass sie den Hund ihres Mannes vergiftet hat, weil der ihn immer auf die Lefzen küsste. »Das war widerwärtig«, sagte sie.
    Die Entdeckung, wie hochgradig verkorkst andere Leute sind, erleichtert mich, weil unser eigenes Familienleben ziemlich kaputt ist. Meine Eltern haben beschlossen, sich zu trennen, und meine Mutter wird bald ausziehen. Wir hängen jetzt alle in der Luft; zwar ist die Veränderung bereits da, aber passiert ist noch nichts. Im Moment bin ich ziemlich schlecht in der Schule. Ich weiß nicht, wieso, aber plötzlich hatte ich das Gefühl, ich hätte Ferien, müsste nirgendwohin und hätte nichts Wichtiges zu tun. Mein Dad hat mich beiseitegenommen und mir, so gut er konnte, die Hölle unter dem Hintern heiß gemacht, was passiert, wenn man sich gehen lässt, aber ich empfinde die Schule nach wie vor als etwas, was andere Leute ernst nehmen müssen, aber ich doch nicht. Ich sitze im Klassenzimmer und erfreue mich an der Geräuschkulisse, aber wirklich anwesend bin ich nicht. Einige meiner Lehrer machen sich Sorgen um mich. Ich sehe, wie sich ihr Mund bewegt, komme aber gar nicht auf die Idee, ihnen zuzuhören. Und ich bleibe bis spät in die Nacht auf und starre mit dem Fernglas in die Fenster der Nachbarn.
    Manchmal erkenne ich auf der Straße jemanden wieder, den ich bespitzelt habe; dann fällt es mir schwer, ihn nicht zu begrüßen. Oder schlimmer noch, etwas zu sagen wie: »Wirkt die Pickelcreme?« oder »Warum lassen Sie sich von Ihrer Katze die Zehen lecken?« Da gibt es doch wirklich eine Frau, die die Füße auf den Sofatisch legt, damit ihre Katze hinaufspringen und sie ablecken kann. Ich würde die Wände hochgehen.
    Es ist zehn Uhr abends, und ich sehe Mr. Draper die Einfahrt seines Hauses entlangkommen. Er schwankt und fummelt mit dem Schlüssel herum. Im Dunkeln lässt er eine Flasche fallen; sie geht auf der Türschwelle zu Bruch. Mrs. Draper hat ihn wieder mal ausgesperrt. Ich beobachte, wie er im Haus verschwindet; die Tür lässt er einen Spalt offen. Nach einer Minute kommt Mrs. Draper heraus und stupst die Splitter mit dem Fingernagel auf eine Schaufel. Dann geht sie wieder hinein. Die Tür bleibt offen, das Dielenlicht fällt nach draußen und glitzert in der Schnapspfütze.
    Ich merke, dass auch bei uns unten dicke Luft ist, aber wie üblich streiten sie recht leise, keiner schreit herum. Mein Bruder kommt herein und setzt sich mit einem Buch auf mein Bett; manchmal kriecht Andrew zum Lesen auch unter das Bett, so dass nur sein Kopf und seine Schultern herausschauen.
    Mein Zeugnis fällt vernichtend aus; schlimmer noch, mein Vater sieht, dass mir alles wurscht ist. Meine Eltern reden mit mir darüber; wie Wölfe haben sie sich zusammengetan, um eine Beute zu reißen. Ein seltener Moment der Kooperation.

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