Hilf mir, Jacques Cousteau: Roman (German Edition)
Schlafanzug, mit verstrubbelten Haaren und Kissenabdrücken im Gesicht. Die arme Merry versucht, sich möglichst unsichtbar in eine Ecke zu drücken; ihr Rüschenpyjama ist durchsichtig wie eine Küchengardine. Andrew ist von dem Anblick merklich schockiert.
Jetzt spricht Bishop mit meiner Großmutter; er hält den Hörer im Würgegriff umklammert.
»Nein, bloß nicht! Mutter, gib ihn mir nicht! … Hallo, Vater.«
»Ich brauch nen Drink!«, sagt Castor.
»Klar bist du das, Vater. Nein, nur weil du siebzig bist, bist du noch lange nicht tot, aber … du … wie viel ?«
»O Gott!«, sagt Castor.
»… in zwei Stunden ?«
»Das muss wieder bei diesen Arschlöchern sein«, sagt Castor.
»Neeeein!«, trällert meine Mutter vergnügt. »Nicht wieder bei diesen legendären … bei Moe und Joe?«
»Wer sind Moe und Joe?«, will Andrew wissen.
»Untersteh dich«, sagt Dad zu Mum. »Wehe, du lachst!« Sie wendet sich mit heftig zuckenden Schultern ab und fingert am Gürtel ihres Morgenmantels herum.
Bishop windet sich jetzt richtig. Die drahtfeine Stimme meines Großvaters dringt aus dem Hörer zu mir durch. Er sagt zu Bishop, dass er ihn lieb hat; Bishop zuckt zusammen und flucht stumm vor sich hin. Ich lausche angestrengt, um die leisen, dünnen Töne aufzufangen, und stelle mir meine Großeltern in einem Wüstencasino vor: die Lampen und die Spiegel, der Strom von Münzen aus den Automaten, der über die Auffangschale hinausfließt und auf den Boden prasselt, und draußen die Autos, die mit offenem Verdeck in der weichen Wüstenluft durch die Straßen kreuzen, vorbei an den prachtvollen Vordächern.
Castor gibt die Suche nach einem Drink auf und schnappt Bishop den Hörer weg. »Vater, jetzt hör mir mal zu. Sag einfach Nein zu denen und hol dir deinen – Was? … Ich weiß, dass du Mutter lieb hast.«
»Und wer sind denn nun Moe und Joe?«, flüstert Merry.
»Und ich habe dich auch lieb, Vater.«
»Herr im Himmel!«, sagt Bishop. Ich bin inzwischen hellwach und würde ebenfalls wahnsinnig gern mit meinem Großvater telefonieren. Ihn vielleicht dazu bringen, auch mir zu sagen, dass er mich lieb hat. Ich frage mich, was ich dabei wohl empfinden würde.
Castor legt die Hand über den Hörer und zischt: »Die haben sein Auto. Schon wieder!«
Dad kehrt in sein Zimmer zurück, lässt sich auf das ungemachte Bett fallen und klemmt die Hände zwischen die Knie.
»Typisch«, knurrt Bishop, » dir erzählt er von dem Auto, zu mir sagt er kein Wort!«
Schließlich schreitet Netty über den Teppich und übernimmt das Gespräch.
»Gerald?«, sagt sie. »Hier ist Netty.« Ihre Stimme schwebt wie ein seidenes Taschentuch durch die Luft. »Gerald«, sagt sie, »versuch, dich zu konzentrieren.«
Am Ende des Telefonats hat mein Großvater zugegeben, dass er ein Esel ist. Netty hat eine magische Macht über ihn. Im Alleingang hat sie ihm eine unsichtbare Zwangsjacke übergezogen und das Versprechen abgeknöpft, in aller Ruhe nach Hause zu fahren. Danach machen sich Dad und seine Brüder auf die Suche nach Hochprozentigem, wir anderen verdrücken uns in unsere Zimmer.
Ich liege wach da, betrachte meine Mutter – sie lächelt sogar im Schlaf – und versuche, mir Dad und Mum unter den funkelnden Lichtern beim Würfeln vorzustellen. Ich rätsle eine Weile herum, ob es in Nevada heiß ist. Bei meinem Vater und seinen ganzen Karten und Tabellen sollte ich es eigentlich wissen, aber ich weiß es nicht. Nach einer Weile löst sich das Bild meiner Eltern auf, und ich sehe stattdessen meinen Vater allein in Las Vegas, die Hosentaschen nach außen gestülpt. Ich drehe mich um und wende mich anderen Fragen zu, zum Beispiel: ob es in diesem Hotel Gespenster gibt; ob diese Gespenster bedrohlich sind; ob sie gestorben sind, während sie verliebt waren, oder ob sie unter Schmerzen gestorben sind; ob auch sie gern ins Spielcasino wollten, aber nicht reingelassen wurden. Ich frage mich, was für ein Gespenst Großvater abgeben wird, denn dass er mal umgehen wird, steht außer Zweifel. Dann frage ich mich, was für ein Gespenst ich selber werden könnte.
Am nächsten Morgen, also an Heiligabend, kommt meine Mutter in unser Zimmer, stellt eine Tasse Kaffee auf mein Tischchen und setzt sich zu mir aufs Bett.
Ich greife gierig nach dem Kaffee. »Wie lange bist du denn schon auf?«, frage ich.
»Aufstehen! Beerdigung!«, sagt sie, ohne auf meine Frage einzugehen. »Dank deinem Vater.« Wie ein kleines Dummerchen setze ich an, meinen
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