Hilflos in deinen Armen
Boden liegend hatte er überlegt, er könne sich ja ein Weilchen ausruhen und dann versuchen, zu Fuß nach Averette zurückzumarschieren. Das Pferd hatte sich nämlich davongemacht. Richard d’Artage ritt inzwischen vermutlich über Stock und Stein, immer den Höfen und Flussufern ausweichend, um nicht gesehen zu werden. Auch er war ja verwundet, hatte gebrochene Rippen, da war sich Bayard ganz sicher. Wie hielt der Kerl sich da bloß im Sattel?
Oder war es doch anders? Hatte er, Bayard, einen reiterlosen Wallach verfolgt? Befand sich d’Artage etwa in seinem Rücken?
Zitternd und mit klappernden Zähnen leckte er sich über die trockenen, schorfigen Lippen, schmeckte das Blut, das aus den Rissen drang. Er musste aufstehen, sich bewegen, Wasser finden. Er durfte hier nicht bleiben, sonst fiel er womöglich in einen tiefen Schlaf, aus dem er nicht mehr erwachte. Er musste sich zusammenreißen; anderenfalls drohte der Tod.
Den gebrochenen Arm gegen die Brust gepresst, rappelte er sich taumelnd hoch. Über ihm glänzten die Sterne am nächtlichen Firmament, glühende Pünktchen, die zwar den Himmel erhellten, den irdischen Sterblichen indes herzlich wenig Helligkeit boten.
Wie oft hatte er stundenlang im Hof von Boisbaston Castle gestanden? Überzeugt davon, er werde jeden Moment zusammenbrechen, erschöpft, hungrig, durstig und bei Regen auch klatschnass. Damals hatte er nie aufgegeben. Diese Genugtuung hätte er seinem Vater nicht gegönnt. Eher hätte er dort ausgeharrt, bis er tot umfiel.
Und diese Nacht galt es weiterzulaufen, bis er tot zusammenbrach.
Was, wenn d’Artage ebenfalls sein Pferd verloren hatte? Wenn er, Bayard, jetzt auf diesen Verräter traf? Er hatte noch sein Schwert. Brachte er aber die Kraft auf, es auch zu führen?
Von Schmerzen und Übelkeit gequält, stützte er sich gegen einen Baum. Die Zweige strichen ihm durchs Gesicht. Er lehnte sich rücklings an den borkigen Stamm, dankbar für den Halt. Nur einen Augenblick verschnaufen!
Einen Moment bloß.
Die Beine sackten ihm weg, aber er raffte sich auf. Er war Bayard de Boisbaston. Aufgeben galt nicht.
24. KAPITEL
Robb und eine Meute angeleinter Spürhunde führten am nächsten Morgen die Suche nach Bayard an. Begleitet wurden sie von Gillian, Armand und etlichen berittenen Soldaten.
Robb hatte versichert, sein Kopf sei wieder völlig in Ordnung. Da er offenbar genesen und für diese Aufgabe genau der richtige Mann war, hatte Gillian eingewilligt, dass er mitkommen durfte. Entgangen war ihr auch nicht der Abschiedskuss, den Dena ihm vor dem Abmarsch gab. Sie freute sich für die Zofe, auch wenn ihr selber bei diesem Anblick schmerzlich bang ums Herz wurde.
Wenngleich sie in Robb einen meisterhaften Fährtenleser dabeihatten, hielten alle die Augen offen und überwachten ganz besonders das Buschwerk und die Bäume links und rechts der Spur, welche die beiden Pferde hinterlassen hatten, angefangen von dem Ort, an dem das Gefecht stattgefunden hatte. Ein paar der Soldaten blieben dort und bargen die Leichen. Zum Glück war niemand von Averette gefallen. Iain und Bayard hatten die Männer trefflich ausgebildet; zwar hatte es einige Verwundete gegeben, doch keine Toten.
Von den Angreifern ließ sich das nicht sagen. Man hatte Gillian gemeldet, fünf der Gegner seien umgekommen; einen weiteren Toten fand man am Morgen unter einem Baum. Es bot sich ein Bild des Grauens; Krähen und andere Aasfresser hatten sich bereits an ihr grausiges Werk gemacht.
Nunmehr galt Gillians ganzes Augenmerk den Hufspuren auf dem Seitenstreifen, den ihr Vater noch beiderseits der Landstraße aus dem Buschwerk hatte schlagen lassen. Leider hatte es den Anschein, als wären die Pferde schon bald von der Straße abgewichen und in den Wald abgebogen, danach über eine Weide und in einen weiteren bewaldeten Streifen, der sich bis zur Grenze des Anwesens und noch darüber hinaus erstreckte.
Alles versank in Schweigen, während sie sich nun durch den dämmrigen Forst kämpften. Ein uralter Bodenbelag aus welkem Laub dämpfte den Hufschlag der Pferde; einzig das Quietschen von Leder, das Schnauben der Tiere und das sachte Klappern der tönernen Tiegel, die wohlverpackt in Gillians Satteltasche ruhten, durchbrachen die Stille. Mitgenommen hatte Gillian Breitwegerich-Salbe zur besseren Wundheilung, eine Mohntinktur gegen die Schmerzen sowie saubere Leinentücher zum Verbinden.
Obgleich nach einer schlaflos verbrachten Nacht noch hundemüde, spannte sie sämtliche
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