Hilflos in deinen Armen
Mohnmixtur sowie einen leeren Kupferbecher heraus. Den füllte sie mit Wasser vom Bach, gab die Mohnmischung hinzu und rührte alles mit dem Finger um. Anschließend hielt sie dem Verwundeten den Becher an die Lippen, traute sich aber nicht, den Oberkörper anzuheben – aus Angst, der Schaden könne an gebrochenen Rippen liegen, was alles nur verschlimmert hätte. Wieder röchelte und hustete der Verwundete, doch einiges von dem Sud brachte er dennoch über die Lippen.
Es dauerte einige Zeit, bis die Medizin wirkte. Mehrmals fürchtete Gillian schon, der Verwundete sterbe ihr unter den Händen weg, ohne dass sie ihm die Schmerzen lindern konnte, oder sie habe ihm eine zu starke Dosis eingeflößt, oder sie seien ohnehin zu spät gekommen. Dann öffnete er schließlich doch noch die Augen. Sein Blick war stumpf, was vermutlich an dem Mittel lag, aber insgesamt wirkte der Liegende so, als habe er weniger Beschwerden, und auch sein Atem schien etwas leichter zu gehen.
Armand wiederholte seine Frage. „Wo habt Ihr Bayard zuletzt gesehen?“
„Weiß … nicht mehr …“ Wieder verzerrte er sein Gesicht; das Sprechen bereitete ihm offenbar große Mühe. „Das Schwein! Sie … sollte … Ich wollte … Du gottverfluchter Lump!“
„Richard, wenn Ihr Euch überhaupt noch Hoffnungen auf den Himmel machen wollt, dann sagt mir unverzüglich, wo Ihr zuletzt meinen Bruder gesehen habt!“
Der Verwundete wandte den Kopf ab und packte mit unerwarteter Kraft Gillians Hand. „Der andere … Nicht ich … Den müsst Ihr kriegen … Er ist es …“
„Wen meint Ihr?“, fragte Gillian verzweifelt. „Ist Bayard in seiner Gewalt?“
Der Sterbende gab keine Antwort mehr. Die Augen schlossen sich, der Körper wurde schlaff; die Hand glitt Gillian aus den Fingern. Als ihm das letzte Röcheln aus den Lungen entwich, verzog d’Artage noch einmal das Gesicht. Dann rührte er sich nicht mehr.
Gillian ging in die Hocke, wie betäubt von dem Gehörten. Dann sah sie Armand an. „Wen hat er wohl gemeint? Lindall? Oder jemand anderen?“
Armand stand auf und versetzte dem Helm des Toten einen so heftigen Tritt, dass er die Uferböschung hinaufflog. „Verfluchte Verräterbrut! Ich hab mir gleich gedacht, dass dieser ganze Umsturzversuch ungeahnte Ausmaße annimmt. Vor meiner Abreise vom Hof kam mir noch etwas zu Ohren – ein Gerücht, dass ein Lord in Mittelengland hinter der Sache steckt.“
„Was denn für ein Lord?“
„Wissen wir nicht – noch nicht. Aber wir werden es herausbekommen, bei Gott!“ Angesichts ihres gequälten Blicks, kam er um die Leiche herum und bot Gillian die Hand, um ihr aufzuhelfen. „Falls Ihr lieber zurück nach Averette möchtet, können wir …“
„Nein, nein“, wehrte sie ab, wieder gefasst und entschlossen. „Ich möchte unbedingt weitersuchen.“
Armand nickte und winkte zwei Soldaten herbei. „Bringt den Toten zurück zur Burg!“, befahl er. „Sagt meiner Gemahlin …“
„Lady Gillian! Lord Armand!“
Der Ruf kam von Robb, der in einiger Entfernung oben auf der Böschung jenseits des Baches stand und heftig winkte. „Hier ist er! Sir Bayard! Hier!“
Gillian stieß einen Freudenschrei aus. „Oh, Gott sei Dank!“
Aber – lebte er noch? Oder war er schon tot?
Er lebt!, redete sie sich ein und griff nach dem Beutel mit Arzneien. Er muss leben! Bitte, lieber Gott, flehte sie inbrünstig, mach, dass er lebt!
So überstürzt hastete sie vorwärts, dass sie beinahe über einen Stein gestolpert und ins eisige Wasser des Baches gefallen wäre. Im letzten Moment packte Armand sie fest beim Arm und zog sie mit sich, so schnell es ihre hinderlichen, langen Röcke zuließen.
Bald schon gelangten sie zu Robb, der direkt neben Bayard stand. Er hockte vor einem Baum, den Rücken gegen den Stamm gestützt, den rechten Arm schützend vom linken umfangen. Sein Gesicht war so blass wie vorhin das von d’Artage, und an dem Baumstamm fanden sich Blutspuren. Offenbar hatte sich Bayard erst aufrecht gegen den Stamm gelehnt und war dann einfach in die Knie gesackt.
„Bayard!“, schrie Gillian, während sie den Beutel fallen ließ und neben ihrem Liebsten auf die Knie sank. „Oh, Bayard!“
Sanft barg sie sein Gesicht zwischen ihre Hände und küsste ihn. Seine Haut fühlte sich warm an, aber nicht heiß – kein Fieber! Oh, Dank sei Gott, lebendig und ohne Fieber, dachte sie, während sie seine Stirn und Wangen mit Küssen bedeckte. „Du lebst! Verlass mich ja nie wieder! Und ich lasse
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