Hilflos in deinen Armen
die Menge zum Fluss hinunter. Vor lauter Entsetzen wusste Gillian nicht, wohin sie gucken oder was sie tun sollte, so peinlich war ihr die Situation. Da hörte sie plötzlich hinter sich Bayards Stimme. „Verträgt wohl nichts, der Ärmste.“
Sie wirbelte herum. Im Feuerschein glühte ein Augenpaar mit einem Funkeln, das verdächtig vergnügt wirkte. Bayard sah aus wie der Oberhofnarr persönlich – falls der zufällig auch ein verdammt gut aussehender junger Mann war.
„Eigentlich trinkt Dunstan selten über den Durst“, stammelte sie, womit sie sich vor ihren Burgvogt stellte.
„Ich auch nicht“, entgegnete der Ritter. „Saufen stumpft die Sinne ab.“
Sie wollte weder an Bayards Sinne denken noch überhaupt an ihn. Gerade wich sie einen Schritt zurück, da schlug der Trommler einen raschen, hämmernden Wirbel, ähnlich dem dumpfen Pulsen, das sie in ihren Ohren hörte.
„Ob Ihr wohl mit mir tanzt, Mylady?“
Fast hatte es den Anschein, als rechne er mit einem Korb. Warum wohl? Glaubte er etwa von vornherein nicht, dass sie Ja sagen würde? Ging er davon aus, dass sie sowieso nicht mit ihm tanzen wollte? Weil sie Klatsch und Belehrungen fürchtete?
Weil sie Angst hatte?
Falls ja, dann sollte er Lady Gillian d’Averette aber kennenlernen!
Sie schenkte ihm ein forsches Lächeln und bot ihm die Hand. „Mit Vergnügen, Mylord.“
Zwar spielte nur die Andeutung eines Lächelns um seine Lippen, doch spürte sie genau, dass er sich freute. Und sie tat es auch.
Als sie gleich danach merkte, dass es ihr doch nicht recht war, war es zu spät. Da hatte er sie bereits fest bei der Hand gefasst und führte sie in den Mittelpunkt des Kreises. Er verbeugte sich artig, als befänden sie sich in der königlichen Halle zu Westminster und als sei Gillian die reizvollste aller Damen.
Das löste ein sehr merkwürdiges Gefühl aus.
Und dann begann der Tanz. Nach wenigen Schritten schon begriff Gillian, dass Sir Bayard sehr gut tanzte, und zwar mit einer geschmeidigen und dennoch männlichen Eleganz sowie einer Selbstsicherheit, die ihr verriet, dass er offenbar häufiger tanzte. Wenn man ihn so ansah, konnte man durchaus glauben, dass die Geschichten von dem „Zigeuner-Galan“ vielleicht doch stimmten.
Entschlossen, sich nicht übertrumpfen zu lassen, tanzte Gillian wie nie zuvor. Sie wirbelte und drehte sich, klatschte und hüpfte, wie es der Reigen und auch ihre eigenen Regungen verlangten. So wie Lizette getanzt hätte.
So ging es immer im Kreise, bis Harfe und Trommel verstummten und Gillian, erhitzt und zerzaust, erschöpft nach Luft rang. Bayard applaudierte, und alle Umstehenden taten es ihm nach. Sogleich fragte Gillian sich, ob es wohl richtig gewesen war, sich so gehen zu lassen. Hätte sie nicht mit mehr Würde und Etikette tanzen müssen?
„Wie wäre es mit einer Erfrischung, Mylady?“, fragte ihr Tänzer.
Sie war durstig und wollte ohnehin vom Anger herunter. Das Kinn herrisch gereckt, als ginge sie, gewandet in ihr bestes Kleid, durch ihren Burgsaal, schritt sie an Bayards Seite einher. Dabei versuchte sie nach besten Kräften, nicht auf die verstohlenen Blicke, die Bauern und Dörfler tauschten, zu achten.
Ja, es war durchaus möglich, dass sie hier einen Fehler begangen hatte. Und doch … allzu leid tat er ihr nicht. Im Gegenteil: Sie erinnerte sich an das Prickeln beim Tanz, an Bayards Hand, an seine Bewegungen, so geschickt und machtvoll, an seinen Körper, dem ihren so nah …
Als er ihr einen Krug Ale reichte, streifte er wie zufällig ihre Finger. Schlagartig überkam sie ein Gefühl, warm und kraftvoll und drängend, wie sie es seit James’ Tod nicht mehr verspürt hatte.
„Ihr tanzt vorzüglich, Mylady“, sagte Bayard, während sie zu einer leeren Bank gingen, die abseits der Tische stand, ganz in den Schatten der Schmiede getaucht. Vielleicht zu abseits und zu schummrig, durchfuhr es Gillian, aber sie wollte nicht bei einem Gespräch mit Bayard die neugierigen Augen der Dörfler auf sich spüren.
„Ihr aber auch“, entgegnete sie und nippte an ihrem Ale. „Als hättet Ihr …“ Sie unterbrach sich, denn ihr fiel ein, dass er es vermutlich gar nicht gern hörte, wenn man ihn mit fahrendem Volk verglich. In England wurden die umherziehenden Zigeuner landläufig ihres fremdartigen, dunkelhäutigen Aussehens wegen häufig auch als „Gypsys“ bezeichnet. Der Ausdruck stand für „Ägypter“, Abkömmlinge jener Nation also, die Maria und Joseph bei ihrer Flucht nach
Weitere Kostenlose Bücher