Hilflos in deinen Armen
durchaus sein. Vielleicht war es auch nicht sonderlich klug gewesen, den jungen Mann hier zu behalten, egal, wie Dena dazu stand. Möglicherweise, so dachte Gillian bei sich, hätte man ihn besser nach Hause geschickt.
Wo steckte Dena eigentlich? Gillian schaute in die Runde und entdeckte die Zofe bei den Tischen, wo sie schüchtern lächelnd mit dem Soldaten Robb sprach. Man konnte nur hoffen, dass es ihr besser ging – nicht nur körperlich.
Gleichzeitig verspürte sie allerdings einen ganz kleinen Stich Trauer und Selbstmitleid, den sie aber umgehend unterdrückte. Schließlich konnte sie sich nicht beklagen – im Gegensatz zu anderen in dieser Zeit. Auf Averette stand alles zum Besten, vorläufig zumindest, und mehr durfte man in solch unsicheren Tagen auch nicht erhoffen.
„Ah, hier seid Ihr, Mylady!“, rief Dunstan und kam auf sie zu, schwankend trotz des ebenen Bodens. Gemessen an seiner Fahne hatte er dem Wein ziemlich heftig zugesprochen. Das gefiel ihr zwar nicht, doch auch ein Kastellan, so nahm sie an, durfte getrost einmal ein bisschen über die Stränge schlagen.
„Guten Abend, Dunstan. Eine schöne Nacht, meint Ihr nicht auch?“
„Jawohl“, lallte er. „Sehr schön. Sehr, sehr schön.“ Er stürzte vor, packte Gillian bei der Hand und zerrte sie förmlich aus ihrem abgeschiedenen Winkel. „Los, Gillian, auf geht’s, lass uns eine Runde tanzen!“
Ganz und gar nicht begeistert, dass er sie in aller Öffentlichkeit einfach duzte, dazu noch in diesem Ton, entzog sie ihm ihre Hand. „Ich bin ein wenig müde.“
Auf seiner Stirn bildete sich eine senkrechte Furche. Er guckte Gillian an wie ein störrisches Kind, obwohl er älter war als sie – etwa so alt wie Bayard. „Nicht mal ein Tänzchen mit einem alten Freund?“
Ein Freund war er, das stimmte. Und hatte sie nicht bereits mehrmals mit ihm getanzt? Im Übrigen waren die Umstehenden inzwischen auf sie aufmerksam geworden. Was würden die denken, falls sie Dunstan einen Korb gab?
Zudem war sie in den letzten Tagen, da sie auf die Antwort von Adelaide wartete und einen Angriff befürchten musste, ziemlich düster gestimmt gewesen. Wenn sie jetzt also weiterhin so furchtsam erschien und nicht einmal ein Tänzchen wagte, verdarb sie den Leuten womöglich den Spaß. „Na gut, meinetwegen.“
Sein Lächeln erinnerte sie daran, warum sie überhaupt befreundet waren. Im Grunde war er ein feiner Kerl, und wenngleich sie ihn nicht lieben konnte, hielt sie doch große Stücke auf ihn. Ohne seine Hilfe und seine Fähigkeiten als Rechnungsführer hätte sie es auf ihrem Anwesen erheblich schwerer gehabt.
Als sie nun also an Dunstans Seite zum Dorfanger schritt, nahm sie sich vor, sich des Lebens zu freuen und ihren Verwalter künftig so zu behandeln, wie sie es immer schon getan hatte. Die Ernte war gut, im Land herrschte Frieden – wenn’s auch ein brüchiger war –, und sie war jung und gesund.
Die Leute begrüßten sie im Reigen und klatschten begeistert Beifall, während sie hüpfte und sich drehte. Es war indes gar nicht so einfach, den auf schwankenden Beinen tapsenden Dunstan bei der Hand zu halten.
Dann aber überließ sie sich ganz der Musik. Ihr war, als führten ihre Beine auf einmal ein Eigenleben. Sie vergaß ihre Sorgen und Pflichten, ihre Mühen und Zweifel. Sie war einfach Gillian, nicht mehr die Herrin eines Lehens oder die mögliche Beute eines namenlosen, unsichtbaren Feindes. Nur eine Frau, die bei einem abendlichen Fest mit einem Freund tanzte.
Als der Reigen zu Ende ging, war sie zwar erschöpft, aber fröhlich und so unbeschwert wie schon lange nicht mehr. Dunstan beugte sich vornüber, die Hände auf die Knie gestützt, und rang keuchend nach Atem. „Heilige Muttergottes, bin ich erledigt!“
Aus Angst, er könne ihr womöglich zusammenklappen, egal, ob vom vielen Wein oder vom begeisterten Tanzen, legte sie den Arm um ihn und führte ihn zur nächsten Bank. Dunstan ließ sich schwer auf den Sitz sacken und zerrte Gillian kurzerhand zu sich auf den Schoß.Vor aller Augen!
„Dunstan!“, schrie sie und sprang sofort hoch. Mit einem Schlag war die ganze Freude dahin – alles nur wegen dieses unerwarteten und unziemlichen Verhaltens. „Ihr vergesst Euch!“
„Gillian, verzeih mir …“, lallte er völlig verstört und stemmte sich taumelnd hoch. „Ich wollte nicht … ich hätte nicht … Das macht der Wein …“
Seine Züge zerflossen. Die Hand krampfhaft vor den Mund gepresst, zwängte er sich durch
Weitere Kostenlose Bücher