Hill, Susan
erinnere ich mich. Was machst du jetzt?«
»Chefreporterin in Lafferton.« Sie hoffte, dass niemand zuhörte.
»Tolle Sache.«
»Ich werd nicht ewig hier bleiben.«
»Die Daily Mail als Nächstes?«
»Kann schon sein.«
»Was kann ich für dich tun?«
Sie begann zu erzählen, aber er unterbrach sie fast sofort.
»Gott, lass mich bloß mit diesem Psychochirurgen in Ruhe. Wir haben tonnenweise Material über ihn, aber er kommt immer mit reiner Weste davon – gewissermaßen. Also ist er da bei euch in der Provinz gelandet. Viel Glück.«
»Ich recherchiere verdeckt. Kannst du mir was von dem Material schicken?«
»Klar. Der Typ ist durchtrieben, Rachel. Pass auf dich auf. Der hat eine Nase für Journalisten und quiekt sofort ›Verleumdung‹ wie ein abgestochenes Schwein. Außerdem schleppt er alle möglichen Leute an, die ihn verteidigen, dankbare Patienten, deren Leben er gerettet hat, du kennst das ja. Wir haben Berge von Briefen bekommen.«
»Was ist passiert?«
»Wir haben die Sache fallen lassen. Zu viel Ärger. Außerdem macht er nichts Illegales. Er ist sehr, sehr vorsichtig.«
»Danke dir, Duggie, ich bin dir was schuldig.«
»Ein Wort ins Ohr der Daily Mail, sobald du dort bist. Das würde reichen.«
33
S andy Marsh war nur am Tag von Debbies Verschwinden nicht zur Arbeit gegangen. Seitdem war sie immer früh gekommen und bis spät geblieben, weil sie es nicht ertragen konnte, allein in der Wohnung zu sein, und die Arbeit sie zumindest zeitweilig von Debbie ablenkte.
Heute ging sie kurz nach acht durch das Großraumbüro und erwartete, noch eine halbe Stunde lang niemand anders zu sehen. Aber Jason Webster war da, steckte ein paar Narzissen in eine Vase auf Sandys Schreibtisch. Alle waren sehr nett zu ihr gewesen, besonders Jason, das Büro war zu einem zweiten Zuhause voll mitfühlender Angehöriger geworden. Man nahm ihr Arbeit ab, brachte ihr Kaffee, lud sie in jeder Mittagspause ein und nahm sie meist zum Abendessen zu sich nach Hause, damit sie keinen Abend allein in der Wohnung verbringen musste, wenn sie nicht wollte.
»Die sind wunderschön, Jase. Sehen aus wie der Frühling.«
»Bringen dich zum Lächeln.«
Sandy ließ ihre Handtasche und den Mantel fallen und umarmte Jason. Die Narzissen leuchteten wie Goldmünzen in dem sonst so sterilen grauen und stahlfarbenen Büro.
»Kaffee?«
Sandy schaltete ihren Computer ein und betrachtete die neue Akte, die ihr Bereichsmanager ihr gestern spätabends auf den Schreibtisch gelegt hatte. Noch mehr Leute mit Schulden, mehr Firmen, die um Zahlungsaufschub baten, mehr Ausreden. Sandy arbeitete bei der Kreditüberwachung, wo die Verzweifelten landeten, jene, die alle nur möglichen Mahnungen bekommen hatten und es nicht nur versäumten zu zahlen, sondern auch keinerlei Verbindung aufnahmen oder Erklärungen, Gründe oder Entschuldigungen anboten. »Saloon zur letzten Chance« hatte jemand in Rot ausgedruckt und vor Ewigkeiten über Sandys Arbeitsplatz gepinnt.
Sie genoss ihre Arbeit. Sie war akribisch, arbeitete gern mit Zahlen, aber solchen, die mit Menschen zu tun hatten, und war froh, dass es ihr, wenn auch nur manchmal, gelang, Menschen aufzufangen, bevor sie über den Rand ihres Schreibtisches fielen und vor dem Konkursrichter landeten.
»Ich hab schon Zucker reingetan.« Jason stellte das Tablett ab. Er hatte zwei Tassen Kaffee und zwei Doughnuts mitgebracht.
»Nein, Jase …«
»Du wirst immer dünner, Sandy. Das gefällt mir nicht.«
Es stimmte, sie hatte fast drei Kilo abgenommen, seit Debbie vermisst wurde. Jason hockte sich auf die Ecke ihres Schreibtisches. »Noch nichts Neues?«
Sandy schüttelte den Kopf. Sie hatte es aufgegeben, im Polizeirevier anzurufen. Die waren zwar immer sehr nett zu ihr, sagten, sie würden sich natürlich sofort mit ihr in Verbindung setzen, wenn … alles nur Menschenmögliche würde getan … eine Menge Spuren würden verfolgt … Mit anderen Worten, überhaupt nichts.
»Ich habe nachgedacht«, sagte Jason. »Die haben den Hügel abgesucht, stimmt’s?«
»Sind überall rumgekrochen.«
»Aber wonach haben sie gesucht? Ich meine, sie kannten Debbie nicht, aber du schon. Sie hätten etwas übersehen können, das du sofort entdeckt hättest.«
»Was denn?«
»Das ist das Problem.«
»Ich glaube nicht, dass sie etwas übersehen haben … Da waren so viele, Jason. Obwohl ich annehme, dass sie …«, sie schluckte, fuhr dann schnell fort, »… nach Teilen ihrer Kleidung gesucht
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