Hill, Susan
verständnisvoll und mitfühlend wegen Harrys Schweigen gewesen.
Trotzdem, irgendetwas hielt Iris davon ab, ihr zu erzählen, dass sie zu einer Gruppenséance ging. Vielleicht würde sie später davon berichten, vielleicht auch nicht.
Für einen Teil des Weges wollte sie den Bus nehmen, den Rest dann zu Fuß gehen, und sollte es sehr spät werden, würde sie mit dem Taxi nach Hause fahren. Harry hatte es nie gerne gesehen, wenn sie nach Einbruch der Dunkelheit noch unterwegs gewesen war, und sie dazu gebracht, ein Taxi zu nehmen, als er selbst nicht mehr Auto fuhr, daher hatte sie die Telefonnummern stets bei sich. Mrs Innis würde bestimmt nichts dagegen haben, wenn Iris eines anrief. Sie hatte Iris gebeten, um sieben Uhr bei ihr zu sein. »Es werden noch sechs andere kommen, Mrs Chater, und Sie werden merken, das alle sehr freundlich sind und das Treffen ganz informell und entspannt ablaufen wird.«
Dann hatte sie Iris gefragt, wie es ihr gehe und ob sie jetzt besser zurechtkäme.
»Das Einzige ist, dass es Tage gibt, an denen er überhaupt nicht im Haus zu sein scheint, wie sonst immer am Anfang, wenn ich ins Zimmer kam und ›Hallo, Harry‹ sagte, weil ich wusste, dass er da ist.«
»Er ist nach wie vor bei Ihnen, aber Sie gehen mehr aus, denken nicht mehr nur an ihn, konzentrieren sich nicht mehr ausschließlich auf ihn.«
»Er fehlt mir immer noch, ich denke immer viel an ihn.«
»Wir müssen nach vorne schauen. Die Menschen, die wir geliebt haben, wollen nicht, dass wir in der Vergangenheit verharren. Aber sie sind nie weit von uns entfernt.«
Nach diesem Gespräch hatte sich Iris besser gefühlt.
Als sie das Haus verließ, hatte sich der beißende Wind gelegt, sodass man, trotz der Kälte, gut zu Fuß gehen konnte. Wie geplant stieg sie eine Haltestelle früher aus, um ihre Nerven zu beruhigen.
All die Geschichten, die ihre Mutter ihr über Tischerücken und spiritistische Buchstabentafeln erzählt hatte, wirbelten ihr durch den Kopf, all diese gespenstischen Vorkommnisse hinter geschlossenen Vorhängen. Damals ging alle Welt zu Séancen, sie hatten Unterhaltungswert, aber als Iris jung gewesen war, hatte sie nichts davon hören wollen, fand den lustvollen Ton in der Stimme ihrer Mutter peinlich, wenn sie davon sprach, wer »durchgedrungen« war und wie das Medium in Trance ausgesehen hatte, »ganz weiß im Gesicht und eigentümlich«. Iris bemühte sich, an das freundliche Zimmer in Sheila Innis’ Haus zu denken, den bequemen Sessel, die Blumenvasen und hübschen Vorhänge, den dicken Kater Otto.
Als sie in die Straße einbog, hörte sie Schritte hinter sich. Ein älterer Mann ging an ihr vorbei und nickte ihr grüßend zu.
Ein paar Minuten später sah sie ihn durch das Gartentor vor dem Haus des Mediums treten, und gleich darauf standen sie gemeinsam auf der Türschwelle.
»Wir haben also dasselbe Ziel. Ich glaube nicht, dass wir uns hier schon mal begegnet sind, oder?«
»Nein, ich bin zum ersten Mal hier … Na ja, ich war vorher schon bei Mrs Innis.«
»Aber nicht bei einer Séance? Sie werden es interessant finden, sehr interessant. Ich bin Jim, Jim Williams.«
Sie schüttelten sich die Hand, als Sheila Innis die Tür öffnete.
Diesmal war es ein anderes Zimmer mit einem langen Tisch und Stühlen. Die Vorhänge waren zugezogen und Lampen brannten, worauf sich Iris Chater beim Hereinkommen gleich behaglich fühlte, fast wie zu Hause, und Jim Williams setzte sich neben sie, nachdem er seinen Mantel aufgehängt hatte. Es waren noch fünf andere da, vier Frauen mittleren Alters und ein jüngerer Mann. Er sah unglücklich aus, fand Iris, angespannt und niedergeschlagen, war bleich, hatte schlechte Haut und dunkle Ringe unter den Augen, und als er seine Hände hob, sah Iris, wie abgebissen seine Nägel waren.
Sheila Innis kam herein. »Wie schön, dass Sie alle da sind. Guten Abend.«
Alle erwiderten die Begrüßung murmelnd, bis auf den jungen Mann, der auf seinem Stuhl nach unten rutschte, als würde er sich am liebsten verkriechen.
Das Medium nahm seinen Platz am Kopf des Tisches ein. Sie trug eine cremefarbene Bluse, dazu eine blaue Perlenkette und eine hellblaue Jacke. Sieht gut aus, dachte Iris und überlegte, ob sie nicht doch das Jackenkleid hätte anziehen sollen.
»Wir haben heute Abend nur einen neuen Gast. Iris, wenn ich Sie auf diese Weise vorstellen darf. Wir sind nicht gerne zu formell.«
Alle sahen sie an und lächelten, und Iris fühlte sich willkommen geheißen, als
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