Hill, Susan
haben – oder Blut oder … so was.«
»Ist schon gut, reg dich nicht auf.«
»Es regt mich aber auf. Entschuldige, ich wollte dich nicht anschnauzen.«
»Nein, ist schon gut. Aber ich frag mich trotzdem, ob es nicht sinnvoll wäre, wenn du und ich da raufgingen und noch mal nachschauten.«
»Das gäbe mir das Gefühl, etwas zu tun. Es gibt sonst nicht viel, was ich tun kann, außer immer und immer wieder alles durchzugehen, was sie gesagt hat, was sie getan hat, irgendwas, das ein Hinweis sein könnte. Doch davon bleibe ich nur die ganze Nacht wach. Ich würde es nicht wagen, allein da raufzugehen, aber du hast Recht. Vielleicht spüre ich da oben irgendwas. Klingt verrückt.«
»Nein, tut es nicht.«
»Gestern Abend habe ich gedacht – ich bin wütend auf sie geworden, weißt du? Wenn sie absichtlich verschwunden ist und es einfach niemanden wissen lässt, aus welchem Grund auch immer, ob sie nun depressiv war oder was, dann macht mich das wütend. Ich weiß, dass das falsch ist, aber ich kann es nicht ändern. Dann denke ich wieder, das sieht Debbie nicht ähnlich, liegt einfach nicht in ihrer Natur. Sie ist ein rücksichtsvoller Mensch, wirklich fürsorglich. So was würde sie uns allen niemals antun. Sie hätte mich oder ihren Vater angerufen oder mir eine SMS geschickt. Ich bin ihre beste Freundin, seit wir fünf waren, seit dem ersten Tag der Vorschule, Jase. Ich kenne Debbie. Ich weiß einfach, dass ihr etwas zugestoßen ist. Aber niemand scheint mehr etwas unternehmen zu wollen. Es ist nicht die Rede davon, die Ermittlungen auszuweiten oder die Bitte um Mithilfe der Bevölkerung landesweit zu senden, und sie sagen mir nicht, warum. Das macht mich zunehmend fertig. Ich bin die ganze Zeit wütend. Wenn ich nicht wütend auf Debbie bin, dann bin ich wütend auf die Polizei.«
»Und das tut dir nicht gut. Also, was hältst du davon, wenn wir da raufgehen?«
»Der Hügel ist immer noch abgesperrt.«
»Nein, das Absperrband und das ganze Zeug sind verschwunden, ich bin heute Morgen dran vorbeigefahren.«
»Das heißt, sie haben aufgegeben.«
»Was auch immer. Wir nicht.«
»Aber was können wir tun?«
Jason stand auf. »Ich weiß es nicht, Babe, ich glaube nur, dass es dir hinterher besser gehen wird.«
»Nein. Ich könnte da nicht hingehen, ohne mich schrecklich zu fühlen. Aber trotzdem vielen Dank.«
»Keine Ursache.«
Er griff nach seinem Kaffee und den Resten des Doughnuts und ging durch das Büro zu seinem Schreibtisch.
Sandy klickte die erste Datei des Tages an und vertiefte sich in die Arbeit. Sie hatte viel zu tun, was half, und als drei ihrer Kolleginnen vorschlugen, rasch in einem nahe gelegenen Bistro zu Mittag zu essen, stimmte sie gerne zu.
An diesem Abend blieb Sandy zum ersten Mal seit Debbies Verschwinden allein in der Wohnung. Sie hatte versucht, das zu vermeiden, und für eine kurze Weile hatte es geholfen, aber es war nicht ihre Art, Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen, und nachdem sie ihre Meinung geändert und mit Jason vereinbart hatte, am Wochenende doch den Hügel abzusuchen, war sie entschlossen, sich jetzt der leeren Wohnung zu stellen.
Sobald sie zur Tür hereinkam, machte sie das Radio an, fand einen Sender, der Oldies spielte, und drehte Blondie mit »The tide is high« lauter. Sandy nahm das Radio mit ins Badezimmer, wo sie lila Bademilch namens »Intensity« ins Wasser goss, die so schäumte, dass hinterher sogar die Matte voller Schaum war. Die Bademilch roch exotisch, und Sandy aalte sich darin, während die Musik zu den Wings mit »Mull of Kintyre« überging.
Na komm, so schlimm ist es doch nicht, du schaffst das prima.
Nach dem Bad verbrachte sie eine halbe Stunde mit Maniküre und Pediküre, probierte verschiedene Nagellackfarben aus, trug eine Gesichtsmaske auf und danach Antifaltencreme, die sie in der Mittagspause gekauft hatte. Außerdem hatte sie noch zwei neue Tops erstanden, die nach wie vor in der Tragetasche auf ihrem Bett lagen; sie wollte sie später anprobieren, nachdem sie sich Nudeln mit frischer Tomaten- und Pilzsoße und Parmesan gekocht und ein halbes Glas Weißwein getrunken hatte, der noch von Weihnachten übrig war. Danach wollte sie sich Coronation Street und The Bill anschauen, hatte ein paar Schecks auszustellen und einen neuen Penny-Vincenzi-Roman, der gelesen werden wollte. Sie hätte das schon längst machen sollen. Wegzulaufen hatte noch nie jemandem gut getan.
Kurz nach zehn ging sie mit ihrem Buch und einer Tasse Tee zu
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