Hill, Susan
Bett. Sie hatte es neu bezogen, damit es sich kühl und frisch anfühlte.
Sandy hatte zwei Seiten gelesen, als sie ohne Vorwarnung oder Reaktion auf einen bestimmten Gedanken, eine bestimmte Erinnerung zu weinen begann. Sie setzte sich auf und griff nach der Schachtel mit Papiertaschentüchern, weinte zwanzig Minuten lang, Tränen der Furcht und Verzweiflung, die ihr über das Gesicht liefen, Tränen, die die aufgestaute Anspannung der letzten Woche lösten, Tränen, die unter lautem, ersticktem Schluchzen hervorquollen. Debbie fehlte ihr, sie wagte sich nicht vorzustellen, was mit ihr passiert war oder wo sie sein konnte, befürchtete aber, dass Debbie nicht mehr lebte.
Diesen Gedanken hatte sie tagelang verdrängt; sie war optimistisch geblieben, hatte entschlossen daran geglaubt, dass es eine logische Erklärung geben musste – vielleicht keine einfache und auch keine, die ihr gefiel, aber trotzdem eine Erklärung, und wenn sie die von Debbie hören würde, wäre alles wieder gut.
Jetzt fand sie sich damit ab, dass es keine andere Erklärung als die schlimmste geben konnte. Sie hatte die Wahrheit gesagt, als sie Jason erklärt hatte, Debbie sei die Letzte, die ohne Vorwarnung verschwinden würde. Wo ihre Freundin auch hingegangen sein mochte, falls sie versucht hatte, ein Problem zu lösen, über das sie nie gesprochen hatte, sie hätte sich trotzdem mit Sandy in Verbindung gesetzt, vor allem mit ihr. Sie hatten sich immer alles erzählt, was wichtig war, seit sie kleine Kinder auf dem Spielplatz gewesen waren. Debbie war tot. Jemand hatte sie überfallen und weggeschleppt. Jemand hatte sie ermordet. Das sagte sie sich immer wieder, während sie weinte, und schließlich musste sie ihr Gesicht mit kaltem Wasser abspülen, um sich zu beruhigen.
Dann ging sie wieder zu Bett und lag immer noch weinend da, wollte das Licht nicht ausmachen, konnte nicht lesen, stellte sich aber Stunde um Stunde dieselbe schreckliche Frage.
34
D as blaue Kostüm, das Jackenkleid in Braun und Pink, ein schlichter, mauvefarbener Pullover samt Tweedrock lagen ausgebreitet auf dem Bett, aber sie konnte sich immer noch nicht entscheiden, was die passende Kleidung für diesen Anlass wäre, und dann ging ihr plötzlich die komische Seite an der Sache auf. Es musste eine komische Seite geben.
Hier stehe ich, dachte Iris Chater, überlege hin und her, was ich anziehen soll, als ginge ich zu einem wichtigen Essen, wo es doch nur eine … sie konnte sich kaum dazu überwinden, das Wort auch nur zu denken. Trotzdem war es komisch; als würde es irgendjemanden interessieren, was sie zu einer Gruppenséance anzog, als würden die anderen sie nach ihrer Kleidung beurteilen oder Iris überhaupt bemerken.
Schließlich entschied sie sich für Pullover und Rock.
Sie hatte lange gebraucht, den Entschluss zu fassen. Nach dem ersten Besuch bei Sheila Innis hatte Iris den Gedanken beiseite geschoben, einerseits, weil er sie beunruhigte, aber hauptsächlich, weil es sie immer noch bedrückte, dass Harry nicht mit ihr gesprochen hatte. Alles andere war zu seltsam gewesen, um es einordnen zu können, und der Vorschlag, zu einer Gruppe zu gehen, erforderte auch einiges Nachdenken. Schließlich hatte die Neugier gesiegt. Nachdem sie die Frau kannte und die Einzelsitzung mit ihr sie nicht verängstigt hatte, wo sie fast vergessene Dinge über ihre Vergangenheit erfahren, Botschaften von Menschen erhalten hatte, an die sie seit fünfzig Jahren nicht mehr gedacht hatte, war ihr bewusst geworden, dass sie irgendwann zu der Séance gehen würde, und dann hatte sie eigentlich nur noch den richtigen Augenblick abwarten müssen.
Sie war nicht mehr so niedergeschlagen, und es half, dass es morgens früher und abends länger hell war und sie ein bisschen im Garten arbeiten konnte. Der späte Abend war am schlimmsten. Dann fehlte ihr Harry am meisten, und sie schien sich auf nichts konzentrieren zu können. Doch tagsüber ging sie häufiger aus, selbst wenn es nur zum Einkaufen war und einmal in der Woche zum Friseur, und zweimal waren Pauline und sie mit dem Bus nach Bevham gefahren und hatten dort zu Mittag gegessen. Sie war viel mit Pauline zusammen, aber nicht mehr auf dieselbe abhängige Weise. Irgendwann hatte Iris ihr doch von dem Besuch bei dem Medium erzählt; schließlich war es Pauline gewesen, die als Erste den Vorschlag gemacht hatte, und Geheimnisse kamen immer ans Tageslicht. Iris hatte sich nicht mehr geschämt. Pauline war interessiert und sehr
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