Hill, Susan
Kleinkindern, die ihr unbekannte Kirchenlieder zu modernen Melodien sangen. Der Familiengottesdienst war nicht die richtige Umgebung, um im Gebet Rat zu finden wegen Harry und ob es falsch war, ein Medium aufzusuchen. Sie saß und stand und kniete und hörte das Gebrabbel um sich herum, und dabei fühlte sie sich, als sei sie per Zufall auf einem zwar freundlichen, aber völlig fremden Planeten gelandet.
Auf dem Heimweg schmerzten ihre Knie so sehr, dass ihr fast die Tränen kamen. Der Rest des Sonntags erstreckte sich vor ihr wie das unendliche Band einer Straße.
Pauline schaute aus dem Fenster, und als sie Iris sah, hielt sie eine Tasse hoch.
Der heiße, süße Kaffee und die Schokoladenkekse waren tröstlich.
»Ich hab einen Namen für dich«, sagte Pauline.
Die Wände schienen sich wie Gummi zu verbiegen.
»Ich hab doch gesagt, ich würde mich umhören, und dann fiel mir ein, dass ein Mädchen, das ich von der Arbeit bei Peddlers kenne, mir erzählt hat, ihre Schwiegermutter sei bei einem Medium gewesen.«
Sie holte einen zusammengefalteten Zettel hinter der Uhr auf dem Bord hervor.
Wenn ich ihn nehme, dachte Iris Chater, wenn ich ihn auch nur berühre, wird etwas passieren. Sie betrachtete den Zettel. Sobald sie ihn an sich nahm, das spürte sie, würde es kein Zurück mehr geben. Du bist eine dumme Frau, schalt sie sich. Aber das Gefühl war übermächtig.
»Ich kann gerne mitkommen, wenn du zu nervös bist … Ich meine, nur um auf dich zu warten, natürlich, nicht um mit in das Zimmer zu kommen. Also gut, hier ist er.«
Pauline legte den Zettel auf den Tisch.
»Trink noch eine Tasse Kaffee.«
Iris trank langsam, sprach über die Läden, Weihnachten, die hohen Preise, die merkwürdigen neuen Kirchenlieder, ließ sich Zeit. Denn wenn sie Paulines Haus verließ, würde sie den Zettel mitnehmen müssen, und wenn sie ihre eigene Haustür hinter sich schloss, wäre sie allein damit und mit dem Namen, der Adresse und der Telefonnummer.
Um es sich leichter zu machen, schaute sie rasch hinunter auf Paulines rundliche Handschrift. Sheila Innis. Priam Crescent 20. 38 91 13.
Der schlichte Name der Frau und die Adresse in einer Straße, die Iris kannte, waren irgendwie beruhigend, also nahm sie den Zettel, steckte ihn ganz fröhlich in ihre Handtasche und verspottete sich selbst, weil sie so ängstlich gewesen war.
9
D etective Sergeant Freya Graffham stand in der Eingangshalle des Four-Ways-Pflegeheims, wartete darauf, zu Carol Ashtons Büro gewiesen zu werden, und spürte den Impuls zu fliehen. Es war der Geruch – vordergründig nach Möbelpolitur und Chrysanthemen, aber stark durchsetzt mit Antiseptika und schmorendem Fleisch. Sie wurde zurückversetzt in die Flure ihrer Klosterschule und, in jüngerer und bedrückenderer Zeit, in das Pflegeheim in Südlondon, wo ihre Großmutter ihre letzten beiden elenden Jahre verbracht hatte. Und dort hatte es nicht einmal den verhüllenden Geruch nach Politur und Blumen gegeben, um den Gestank zu überdecken. Wieder in einem Pflegeheim zu sein, wie anders es hier auch zugehen mochte, ließ ihr das Herz erstarren.
Carol Ashtons Büro war hell und freundlich, ausgestattet mit Bildern und Pflanzen und einem bequemen Stuhl.
»Haben Sie Angela gefunden? Bitte setzen Sie sich doch.«
»Nein, leider noch nicht.«
»Es kommt mir sehr lang vor. Ich bin mir absolut sicher, dass ihr etwas zugestoßen sein muss …«
»Mrs Ashton, ich versuche mir ein Bild von Angela Randall zu machen. Könnten wir dazu vielleicht noch mal ein paar Dinge durchgehen?«
»Selbstverständlich.«
»Sie haben mir erzählt, dass es nicht zu ihr passe, einfach zu verschwinden, ohne Ihnen oder, soweit Sie wissen, jemand anderem irgendwas davon zu sagen.«
»Ich habe viel darüber nachgedacht, und ich bin mir ganz sicher. Ich weiß, Menschen verhalten sich manchmal unberechenbar, aber ich glaube wirklich nicht, dass Angela so etwas tun würde. Sie würde ihren Arbeitsplatz und ihr Haus nicht ohne Vorwarnung verlassen haben, ganz bestimmt nicht.«
»Wissen Sie, ob sie eine engere Beziehung hat?«
»Sie meinen einen Mann? Eine Liebesbeziehung?« Die Vermutung schien Carol Ashton zu verblüffen. »Ich glaube, ich habe Ihnen erzählt, dass sie nicht zu den Menschen gehört, die über ihr Privatleben sprechen. Wissen Sie, dass ich Ihnen nicht mal sagen könnte, ob sie eine Katze besitzt? Aber sie hat nie jemanden erwähnt.«
»Niemand, dem sie teure Geschenke machen würde?«
»Das
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