Hill, Susan
schlagen.
»Viele tun das, und viele sagen, dass diese Leute wirklich … so was wie eine Gabe besitzen.«
»Warst du je bei einem?«
»Hatte nie die Gelegenheit dazu. Außerdem war es auch nur so ein Gedanke.«
»Ich hätte Angst.«
»Wovor denn?«
»Dass es mich … durcheinander bringen würde.« Sie blickte in ihre Tasse. »Meine Großmutter pflegte aus Teeblättern zu lesen.«
»Ach, meine auch. Haben sie doch alle, oder? Völliger Blödsinn.«
»Das stimmt.«
Doch als Großmutter Bixby den Mann beschrieben hatte, den Iris heiraten würde, bevor ihr Harry Chater je begegnet war, hatte alles gestimmt, Aussehen, Auftreten, Beruf, Familie, alles. Sie hatte richtig vorausgesehen, dass sie keine Kinder haben würden, Jahre bevor sie selbst die Hoffnung aufgegeben hatten.
»Außerdem«, fügte Iris hinzu, »wie würde ich denn so jemanden finden? Da muss man vorsichtig sein.«
»Es gibt diese Spiritistenkirche in der Passage Street. Vielleicht haben die ein Anschlagbrett.«
»Die hat mir nie gefallen, sieht ein bisschen wie eine Nissenhütte aus.«
»Aber geh bloß nicht zu einem von denen, die in Hotels auftreten … wie manchmal im Deer Park. Die stellen dann Reklametafeln auf … ›Ein Abend mit der berühmten Hellseherin Madame Rosita‹. Kristallkugeln und goldene Ohrringe. Was für ein Blödsinn.«
»Aber Geld nehmen sie trotzdem dafür.«
Pauline stellte alles wieder auf das Tablett. »Wahrscheinlich ist das wie bei allem anderen … Man braucht eine Empfehlung. Ich hör mich ein bisschen um. Wie ist es, kommst du später zum Fernsehen zu mir?«
»Heute Abend nicht, Pauline, ich hab noch zu tun.«
»Na schön, aber solltest du deine Meinung ändern …«
»Ich weiß. Du bist eine gute Freundin.«
Nachdem Pauline gegangen war, beschäftigte sich Iris noch lange mit dem Gedanken, ein Medium aufzusuchen, fragte sich, ob es falsch war, ob es teuer sein würde, ob es nur ein Trick war, damit unglückliche Menschen sich besser fühlten. Die Vorstellung fand sie beängstigend. Aber warum? Es war entweder völliger Quatsch, oder manche besaßen wirklich diese Gabe, und wenn sie so jemanden fand, könnte das Medium sie mit Harry in Verbindung bringen, und wovor sollte sie sich dann fürchten? Aber wie wurde es gemacht? Was genau würde dort passieren? Würde sie wirklich mit ihm sprechen können und Antworten von ihm bekommen, könnte sie tatsächlich seine Stimme hören? Und konnte so ein Medium das alles beweisen, indem es einem Dinge erzählte, die nur man selbst wusste, ganz private Dinge? Großmutter Bixby hatte aus Teeblättern gelesen, und eine Tante hatte Karten gelegt. Aber, wie Pauline gesagt hatte, taten Frauen das damals, weil es unterhaltsam war, weil man lachen und sich von der täglichen Plackerei, dem mühseligen Waschen aller Wäsche mit der Hand ablenken konnte. Manchmal hatte es einem vielleicht einen Schauer über den Rücken gejagt, aber das war nicht das, was sie wollte. Sie wollte nur wissen, ob Harry wirklich da war, und mit ihm reden.
Das heiße kleine Zimmer wirkte plötzlich leer, als hätte er sich zurückgezogen. Vielleicht gefielen ihm ihre Überlegungen nicht.
Um ihre wirbelnden Gedanken zur Ruhe zu bringen, ging sie schließlich doch nach nebenan zum Fernsehen. Aber keine Quizshow, keine Komödie, kein Thriller, überhaupt kein Fernsehen oder sonstige Ablenkung konnten sie davon abbringen, Harry zu vermissen und über die Chance nachzudenken, sich mit ihm in Verbindung zu setzen, wenn sie nur den Mut dazu aufbrachte. Sie quälte sich den ganzen Abend, wachte in der Nacht zweimal auf und quälte sich weiter.
In Lafferton wurde wie wild für Weihnachten eingekauft. Iris Chater betrat unsicher ein Geschäft nach dem anderen, war verwirrt von dem Überangebot an Waren, Waren, Waren und wusste nicht recht, was sie an Lebensmitteln und Geschenken kaufen sollte. Aber dafür bestand eigentlich keine echte Notwendigkeit. Am Weihnachtstag war sie bei Pauline eingeladen und wollte zum Lunch zu ihr gehen, aber Paulines beiden Söhne mit ihren Familien würden dort sein, alle hineingezwängt in die kleinen Zimmer. Sie wollte sich nicht zu sehr aufdrängen. Sie wollte nur, dass Weihnachten in diesem Jahr vorüberging, je schneller, desto besser.
Am Sonntagmorgen, nach einer schlechten Nacht, tat sie etwas, das sie seit Jahren nicht mehr getan hatte, und ging zum Gottesdienst in die Kathedrale, fühlte sich aber fehl am Platz zwischen den jungen Paaren mit Babys und
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