Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hill, Susan

Hill, Susan

Titel: Hill, Susan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Menschen dunkles Sehnen: Kriminalroman (German Edition)
Vom Netzwerk:
ungeduldig gewesen wäre und das Ende hätte beschleunigen wollen. Wenn ich nur nicht meinen einzigen Fehler gemacht hätte und dabei erwischt worden wäre.
Ich war wirklich entsetzt, als ich vor kurzem erfuhr, dass Medizinstudenten an vielen Unis keine Leichen mehr sezieren, genau wie Oberstufenschüler in Biologie keine Hundshaie und Frösche und Ähnliches mehr sezieren, wie wir das getan haben. Computerprogramme, virtuelle Realität, grafische Darstellungen, Diagramme und Plastikmodelle ersetzen das Sezieren, und viele Medizinstudenten benutzen erst im Operationssaal zum ersten Mal ein Skalpell.
Wir haben unser Handwerk ordentlich gelernt. Aber die Leichen, die wir in jenen ersten Jahren sezierten, hatten wenig Verbindung mit echten menschlichen Wesen oder den frisch Verstorbenen. Sie waren runzelig und uralt, konserviert und unwirklich, und obwohl sie ihren Zweck erfüllten und ich sie durchaus interessant fand, wollte ich mehr, und als ich zum ersten Mal die Pathologie betrat, wusste ich, dass ich es gefunden hatte. Ich wurde zum Witz der dort arbeitenden Teams, aber die älteren Pathologen bewunderten meinen Ehrgeiz und meine Ernsthaftigkeit, das weiß ich, und betrachteten mich insgeheim als einen der Ihren, einen zukünftigen Kollegen. Sie bekamen nicht so viele, dass sie es sich leisten konnten, mich mit Gleichgültigkeit zu behandeln. Medizinstudenten, die forensische Pathologen werden wollen, sind rar, selbst in dieser Zeit schauriger Fernsehdramen.
Die Pathologie wurde zu meinem zweiten Zuhause. Gegen Ende schaute ich fast jeden Tag bei einer Obduktion zu, manchmal sogar bei mehreren.
Nach einiger Zeit befriedigte mich das Zuschauen natürlich nicht mehr, es reichte nicht aus. Ich wollte es selbst tun, und die Gewissheit, dass ich noch mehrere Jahre warten musste, bis ich meinen Abschluss machte und die anderen Fachgebiete durchlief, war frustrierend. Ich lebte damit fast ein Jahr lang. Dann schaute ich eines Abends von dem Kapitel »Kongenitale Augenerkrankungen« auf und wusste, was ich tun würde. Es war so offensichtlich, dass ich nicht verstehen konnte, warum ich nicht längst daran gedacht hatte, und in diesem Moment ging ich innerhalb von Minuten von der Idee ins Planungsstadium über. Ich legte das Lehrbuch weg, Ließ die Augen Augen sein und begann nachzudenken, und die Erregung, die in mir aufwallte, glich keiner, die ich je zuvor gespürt hatte.

22
    S andy kam im Bademantel aus der Dusche und betrat ihr Schlafzimmer in dem Moment, als die Dreiundzwanzig-Uhr-Nachrichten in ihrem Radiowecker angekündigt wurden. Während sie zuhörte, verspürte sie eine gewisse Beklemmung. Debbie hatte nichts davon gesagt, dass sie weggehen würde, hatte auch keine Nachricht hinterlassen, und das war ungewöhnlich. Gelegentlich war Debbie seit einiger Zeit abends unterwegs, doch sie war stets um zehn zurück, trank ihren Becher mit eklig riechendem Kräutertee und erzählte Sandy alles Mögliche über New-Age-Glauben, Chakren, Auren und Gott weiß was noch. Sandy hörte immer zu und stellte interessierte Fragen, und sie musste zugeben, dass Debbie besser aussah, viel besser; ihre Haut heilte ab, wobei das sicherlich an Dr. Deerborns Antibiotika lag, ihre Augen waren klar, und ihr Haar, das sie sich zu einer kleidsamen Kurzhaarfrisur hatte schneiden lassen, war nicht mehr strähnig und fettig, und sie hatte eindeutig abgenommen. Man konnte nicht über etwas herziehen, das ihr so deutlich gut tat.
    Sandy holte ihr Nagelnecessaire und den Beutel mit Nagellack heraus und nahm sie mit ins Wohnzimmer, wo sie sich eine Folge von Friends anschaute, während sie Peony Pink von ihren Fingernägeln entfernte und es durch Sugar Icing ersetzte. Die Folge war besonders komisch, und Sandy genoss sie in vollen Zügen. Debbie wäre es genauso gegangen, dachte sie, als die Sendung zu Ende war. Inzwischen war es fünf nach zwölf. Sandy wanderte in der Wohnung herum, setzte den Kessel auf und machte sich eine Tasse Tee, die sie zum Abkühlen stehen ließ, stellte das Radio an und wieder ab. Einmal ging sie sogar auf die Straße hinaus, die leer und still war; es brannten nur noch wenige Lichter – alle hier in der Gegend mussten frühmorgens zur Arbeit. Sandy blieb einen Moment lang stehen. Es war ein schöner Abend, mild und trocken. Debbie würde bestimmt gleich kommen, mit raschen Schritten die Straße entlanggehen oder sogar ein Taxi genommen haben, weil sie den letzten Bus verpasst hatte. Eine schwarze Katze schlich

Weitere Kostenlose Bücher