Himbeersommer (German Edition)
mich wie ein Blatt im Herbst, das auf die Erde segelt. In der Gewissheit, dass es sehr bald sehr hart landen wird.
Doch wie soll man sich schonen, wenn sich aufgeregte Omas die Klinke in die Hand geben, aber nicht im Haushalt helfen, sondern warten, bis der Kaffee serviert wird? Zumindest Tobias` Mutter Hilde, die eine feine Lady ist, würde nie auf die Idee kommen, mal einen Berg Wäsche für mich zu waschen. Und ihr Sohn, der es leider gewohnt ist, dass ich das mache (es hat sich in den Jahren so eingeschlichen, auch wenn ich das als halbwegs emanzipierte Frau nie wollte), genauso wenig. Wenn Tobias sieht, dass der Wäschepuff überquillt, hängt er seine alten Unterhosen eben über die Heizung.
Und meine Mutter, die selbst ziemlich chaotisch ist und ganz sicher nicht die perfekte Hausfrau, überhäuft mich nur mit Büchern wie „Eine Ehe hält kein ganzes Leben“, oder „Nach den Kindern ging alles bergab“.
Jacky hat mir zur Geburt zwar am Telefon gratuliert, aber sie war noch nicht da. Gregor sei total verschnupft, und sie will Lisa nicht mit diesem fiesen RS-Virus, einem Schnupfenvirus, anstecken, der für Neugeborene lebensgefährlich ist. Eine Freundin von ihr war deshalb eine Woche auf Intensiv mit ihrem Baby.
Das alles, der ungewohnte, krasse Schlafmangel, Daniels ständige SMSe, die ich einfach nicht mehr beantworte, und vor allem die Tatsache, dass das Stillen immer noch nicht klappt, bringen mich an den Rand des Nervenzusammenbruchs.
Hilde ist der festen Überzeugung, dass ich nur nicht stillen will , um meine Brüste nicht zu ruinieren.
„Das stimmt nicht, Hilde, natürlich würde ich meinem Kind am liebsten das Allerbeste geben.“
„Sogar Adoptivmütter können stillen“, kontert sie, und ich weiß, das Gleiche steht in diesem Stillbuch, das ich am liebsten in der Spree versenken würde.
„Eine Frau, die ihrem Kind keine Muttermilch geben kann oder will, ist keine richtige Mutter.“ Hilde sagt das ungeniert, während sie mit gespreiztem Finger in ihrem Espresso rührt. Dabei beobachtet sie Lisa verzückt, als wäre sie ein neugeborenes Eisbärbaby im Zoo, anstatt sie auch nur ein Mal auf den Arm zu nehmen.
Stillterror vom Feinsten. Meine Tränen fließen, nur die Milch nicht, und ich komme mir vor wie eine Milchkuh, die mit der Milchpumpe gemolken wird. Jede Stunde müssen meine Brüste an die Pumpe, und stets sind es nur ein paar lächerliche, mich verhöhnende Tropfen. Woran das liegt, vermag mir keiner zu sagen. Vielleicht an einem fehlenden Hormon, vielleicht an der Tatsache, dass ich zu alt bin, und es gewagt habe, mit einem so viel jüngeren Mann zu schlafen?! Meine Gedanken drehen sich im Kreis. Ich sehe die leuchtende, grüne Lampe über mir an und erinnere mich dunkel, wie grün sie war, die Hoffnung.
Wieder ein Anruf von Daniel und wieder geht meine Mailbox ran.
Ich höre sie ab. „Nora, wie geht es dir, ich freue mich schon so auf unser Baby! Bitte ruf mich zurück und auf jeden Fall, wenn du die allererste Wehe spürst. Wie gern würde ich dich und deinen wunderschönen Bauch jetzt in meinen Armen halten.“
Lisa schreit und ich würde es am liebsten auch tun. Tobias kommt, nimmt sie liebevoll heraus und gibt ihr die Flasche. Ich sehe die beiden an und verkrieche mich unter der Decke.
„Weißt du eigentlich, dass ich auch ein Flaschenkind war?“, höre ich Tobias` Stimme dumpf in meiner Höhle.
Ich schlage die Decke zurück und sehe ihn fassungslos an. „DU warst ein Flaschenkind?! Wieso hackt dann deine Mutter ständig auf mir herum, dass ich nicht stillen kann?!“
„Was?! Das tut sie?!“ Tobias, der offensichtlich immer gerade dann nicht im Raum war, kann es nicht fassen. „Das ist wieder so typisch Mutter. Immer die Ärztemeinung, die gerade angesagt ist, vertritt sie selbst, als wäre es die ihre. Damals in den 60ern war das Flaschegeben üblich, da hat man maximal sechs Wochen gestillt. Wenn überhaupt.“
Und plötzlich geht es mir schon wesentlich besser. Tobias setzt sich mit Lisa im Arm zu mir und gibt mir einen Kuss. „Wir drei, wir schaffen das schon.“
Und ich hoffe so sehr, dass er recht hat.
Der eigentliche Geburtstermin naht, und Daniels Freude und meine Panik sind nicht mehr zu zügeln. Da ich auf seine wildromantischen SMSe gar nicht, beziehungsweise nur sehr spärlich antworte, steht er plötzlich vor der Tür. Ich sehe sein ebenmäßiges Gesicht vom Kinderzimmerfenster aus, aber er sieht meines nicht, zum Glück. Denn zwischen Milchpumpe
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