Himbeersommer (German Edition)
und Folgemilch-Anrühren habe ich mir eine Anti-Stress-Maske von Alterra aufs Gesicht geklatscht. Atemlos lehne ich mich rücklings an die Bärchen-Tapete und fühle mich wie ein weißer Zombie im Jogging-Anzug. Denn ich weiß: Die schlaflosen Schreinächte haben die Falten um meinen Mund zu tiefen Kratern werden lassen.
Wieder klingelt er Sturm und mein Herz rast.
Hoffentlich kommt Tobias, der nur kurz Milchpulver holen wollte, jetzt nicht nach Hause, denke ich und zähle bis hundert: … 58, 59, 60 .
Daniel geht und Tobias kommt. Ob sie sich vorne am Weg noch begegnet sind, lässt sich Tobias nicht anmerken.
Er gibt mir allerdings keinen Kuss.
„He, krieg ich keinen Kuss“, versuche ich normal zu klingen und will ihn umarmen, doch Tobias wehrt ab.
„Ich küsse keinen bröckelnden Quark“, sagt er nüchtern und schleudert seine Schuhe in den Flur.
Natürlich, meine Gesichtsmaske, die hatte ich ja ganz vergessen. Ich sehe in den Spiegel, sie bröckelt tatsächlich. Und unsere Beziehung? Gibt es da auch schon Risse, die kaum noch zu kitten sind? Tobias gibt sich wirklich Mühe, aber er gibt sich weniger mit meiner Süßen ab, als ich mir das in meinen schwangeren Träumen von unserer kleinen Happy family so vorgestellt habe. Oder bilde ich mir das alles nur ein? Vielleicht wäre er die erste Zeit bei unserem eigenen Baby ja genauso lange im Büro geblieben?
Tobias, der heute auf mein Drängen einen Home-Office-Tag genommen hat, sitzt vor seinem Notebook und checkt seine Mails. Ich betrachte ihn, wie er konzentriert auf den Bildschirm starrt und seine hohe Stirn angespannt runzelt. Dann sehe ich mir Lisa an, die endlich mal zwei Stunden am Stück schläft und bete, dass sie später mir und nicht Daniel ähnlich sehen wird. Denn wie könnte Tobias sie wirklich lieben, wenn sie ihrem Erzeuger wie aus dem Gesicht geschnitten ist?!
Ich wasche meine Gesichtsmaske ab, creme mich ein und setze mich fettglänzend zu Tobias an unseren großen Esstisch, an dem mindestens eine Familie mit vier Kindern Platz hat.
„Tobias, ich muss mit dir reden.“
Genervt sieht er mich an. „Nora, was ist das denn jetzt für Zeug, du glänzt wie eine eingeölte Pfanne. Und abgesehen davon, du siehst doch, dass ich arbeite.“
„Schon, aber es ist wichtig. Und das mit der alten Pfanne nimmst du zurück.“
Er seufzt. „Ölig, nicht alt. Also, was gibt es?“
„Wir müssen …, ich muss …, also wir müssen Daniel endlich sagen, dass Lisa schon auf der Welt ist.“
Tobias starrt mich an, als hätte ich gesagt: „Schatz, weißt du eigentlich, dass ich mit dir noch nie einen Orgasmus gehabt habe?“.
„Das ist dein Ding. Ich halte mich da raus“, sagt er leise, und ich habe das schreckliche Gefühl, dass er sich am liebsten aus allem hier raushalten würde.
Er steht auf und Lisa schreit. „Ich muss mich jetzt wirklich konzentrieren, ich geh ins Büro. Einer von uns beiden muss ja das Geld für das Haus verdienen.“ Und weg ist er.
***
Ich schiebe Lisa in ihrem Boogaboo mit ungefähr 30 anderen Müttern durch den Volkspark Friedrichshain. Eine kleine Gruppe hat sich in topmoderne Jogging-Outfits geschmissen und trabt, die Kinderwagen in einem Affentempo vor sich herschiebend, durch den Park. Ich, die ich schon in der Schule diejenige war, die wie ein nasser Sack gegen den Bock geprallt bin, sehe diesen Müttern etwas neidisch hinterher und rede mir ein: Für den von der Geburt ausgeleierten Beckenboden kann dieses Gehopse auf keinen Fall gut sein. Und ich erinnere mich an Hildes Warnung: Denk dran, Kindchen, jetzt nach der Geburt fleißig den Beckenboden trainieren, sonst läufst du bald selbst in Windeln herum.
Gerade als ich mir die joggenden Mütter in Windeln vorstelle und sich ein Grinsen auf meinem Gesicht breit macht, pustet mir Daniel von hinten ins Haar, und ich gefriere.
Fassungslos sieht er den Kinderwagen an, der etwas abseits in der Sonne steht, starrt mir auf meinen nicht mehr prallen, aber leider immer noch ziemlich dicken und wabbeligen Bauch (wie macht die Klum das nur, ich brauche sofort ihren Personal Trainer) und seine Miene wird sehr sehr traurig.
„Ich … ich wollte es dir nicht per SMS sagen, es tut mir so leid …“, stottere ich hilflos herum und presse meine angespannte Faust in meinen weichen Bauch. „Sie heißt Lisa …“
Daniel geht erschüttert einen Schritt auf uns zu. „Wieso hast du mich nicht zur Geburt gerufen?! Ich hab es mir so sehr gewünscht.“
„Ich weiß. Aber ich … ich
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