Himbeersommer (German Edition)
wirft eine Gummimatte auf den dreckigen Krankenhausboden.
„Hier Kindchen, falls der Urmel kommt, immer schön pressen. Ich guck jetze ma, ob endlich `n Kreissaal frei is, wa?“
Und weg ist sie. Tobias und ich starren die Gummimatte an und ich presse, was das Zeug hält.
Magda hat einen Arzt im Schlepptau, einen etwas älteren mit Ziegenbart, der die Lage sofort erkennt. Was ja auch nicht gerade schwer ist bei meinem Gestöhne.
„Frau Blume? Guten Tag, mein Name ist Dr. Meyer-Geulich, schaffen Sie es, zwischen zwei Presswehen in einen Kreissaal zu gehen?“
„Zu Fuß?!“, sieht ihn Tobias fassungslos an, und der Arzt nickt.
„Geht am schnellsten. Sonst dauert das wieder, bis die Pfleger da sind. Pflegenotstand, ist Ihnen ja wohl ein Begriff?“
Tobias nickt sauer. „Wir möchten sofort den Chefarzt sprechen. Meine Frau hat eine Chefarzt-Zusatzversicherung!“
Natürlich, daran hab ich in der Aufregung gar nicht gedacht! Ich könnte ihn knutschen meinen Mann.
„Tut mir leid, der Chefarzt ist auf einer Tagung. Und der Oberarzt auch. In Garmisch.“
„Skifahren oder was?“ Tobias sieht ihn wutschnaubend an. Dann hakt er mich liebevoll unter, und gemeinsam mit Magda auf der anderen Seite schleifen sie mich über den Flur, vorbei an BobbyCarfahrenden Jungen, endlich in einen gerade frei gewordenen, noch blutverschmierten Kreissaal.
Von wegen abgedunkelte Fenster und klassische Musik, wie in all den unrealistischen Schwangerschaftsbüchern empfohlen. Mein Kind wird ohne Mozart und bei grellstem Tageslicht zur Welt kommen und die Falten seiner Mutter von der ersten Sekunde seines Lebens an gnadenlos sehen. In dem Moment ist mir klar, dass unser Mutter-Kind-Verhältnis nie ein unbeschwertes sein kann, und ab da ist mir alles egal.
Ich presse und hechle und presse und hechle und erwürge Tobias dabei um ein Haar. Denn ich habe meinen Arm fest um seinen Hals gelegt, während ich versuche, das Kind wie eine Afrikanerin auf dem Feld in der Hocke zu gebären.
Aber ich bin eine künstliche Großstadtpflanze, und das Kind kommt nicht so einfach aus mir heraus. Vermutlich ahnt es, wie schwierig sein Leben wird, mit zwei Daddys und dieser übergewichtigen Mutter.
„Sie hat keine Kondition mehr, so unsportlich wie sie ist“, höre ich Dr. Meyer-Schießdichtot zu der gerade eingewechselten Hebamme sagen, und sein Ziegenbart wackelt.
„Legen Sie sich bitte da hin“, sagt er und deutet auf eine schmale, kalte Liege. „Und jetzt, stellen Sie sich vor, Sie wollen gleich ein paar Schuhe shoppen gehen und müssen das hier noch ganz schnell hinter sich bringen.“
Wenn ich nicht gerade in dieser erniedrigenden Position wäre, würde ich ihm ins Gesicht springen. Und wenn Tobias von mir nicht immer noch im Würgegriff festgehalten werden würde, würde er seinem Gesichtsaudruck nach am liebsten das Gleiche tun. Magda, die beide Hände frei hat, geht stinksauer auf diesen idiotischen Meyer-Ziegenbart zu, und wie es aussieht, will sie ihm in Vertretung für mich an die Gurgel.
Doch genau in dem Moment werden die Herztöne des Babys schwächer. Hektik im Kreissaal, das Messer wird gezückt.
Und mit einem Schnipp werde ich unten aufgeschnitten wie ein altes Hähnchen und heraus aus mir kommt … mein eigenes, lange ersehntes Kind!
Die Erde hört für einen Moment auf, sich zu drehen, ich vergesse, meine Lunge mit Sauerstoff zu füllen. Es ist ein Mädchen! Meine Lisa! Wie sehr hatte ich mir dich gewünscht. Ein Mädchen, das brav lächelnd dasitzt und mit seinen Püppchen spielt. Doch da durchdringt mich ein markerschütternder Schrei! Wie laut so ein kleines Wesen schreien kann!
Schnell legt mir die Hebamme Lisa auf die nackte Brust, und ich spüre ihre warme, weiche Haut, und sie wird ganz ruhig.
Tobias sieht Lisa interessiert an, als handle es sich um das neueste, teure Modell seiner Fischer-Eisenbahn.
„So, bitteschön, Sie dürfen die Nabelschnur durchtrennen“, sagt die Hebamme und hält ihm die Schere hin. Er nimmt sie, zögert, zittert, reißt sich zusammen und schneidet. Mit dem Ausdruck eines Kriegers, der seine Beute erlegt.
Ich sehe Lisas kleines, zerknautschtes Köpfchen an und warte auf die alles überströmende Liebe, die jegliche Schmerzen vergessen lässt, wie sie es in kitschigen Filmen immer zeigen. Aber sie kommt nicht und das irritiert mich und macht mir Angst. Stattdessen habe ich ein ganz anderes Gefühl: HUNGER!
„Ich könnte jetzt ein ganzes Schwein verdrücken“, ist der erste Satz, den ich zu meiner
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