Himbeersommer (German Edition)
offensichtlich nicht weiß, wie er mich betitulieren soll.
„Nora. Nora Blume“, helfe ich ihm schnell, eher um Schlimmeres zu verhindern.
Patrizia von und zu streckt mir mit einem charmanten Lächeln ihre grazile Hand hin, sieht dabei aber nicht mich, sondern Tobias an, wie ich gerade missmutig feststelle. Der lächelt charmant zurück, und ich koche vor Wut. Tobias wendet sich wieder an mich.
„Tut mir leid, Schneck … ich meine, Nora, wir sind etwas in Eile, wir haben einen Termin mit einem wichtigen Mandanten in der Kanzlei.“
„Klar, ich auch. Ich meine, ich bin auch in Eile. Ich muss noch … Windeln kaufen“, füge ich extra hinzu. Denn er hat keine Sekunde gefragt, wie es Lisa geht, und das hat mich wirklich verletzt.
„Wie geht es denn eigentlich …“
„Also dann“, unterbreche ich ihn grimmig, „du weißt ja, wie eilig das oft ist.“ Und weg bin ich. Ich spüre seinen Blick in meinem Rücken und einen tiefen Stich.
Daniel ist mit Lisa im Volkspark spazieren, und ich habe Sehnsucht nach meiner Kleinen. Ich ziehe mir schnell in Jackys Wohnung die nassen Sachen aus und gehe zu ihr. Von weitem sehe ich Daniel, wie er Lisa wie Karlsson vom Dach fliegen lässt und lustige Geräusche dazu macht. Lisa hat Spaß und wedelt mit ihren Händchen, und als sie dann mich erblickt, quietscht sie los. Daniel sieht mich und strahlt.
„Du hast uns vermisst“, sagt er glücklich und küsst sein Kind. „Guck mal die Enten, Lisa, da ist der Enten-Papa, das da ist das Enten-Baby, und da … die Enten-Mama.“ Lisa gluckst.
„Ich wollte doch nur …“, aber ich breche ab. Was wollte ich denn? Wieso um Himmels Willen bin ich hierher gekommen, und das vor der verabredeten Abholzeit?!
„Du bist da, weil du weißt, dass wir deine Familie sind“, vervollständigt Daniel meinen Gedanken. „Lass uns morgen einen Ausflug machen. Mit Lisa, ein bisschen Boot fahren, das gefällt ihr bestimmt.“
Ich sehe ihn zögerlich an und weiß genau, was er will.
„Ich hole euch um zehn Uhr ab. Mit Proviant. Lisa liebt Wasser und du doch auch.“
„Ja, sie liebt Wasser“, höre ich mich sagen und lächle Lisa an, die sich an ihren Papi kuschelt. Hauptsache, ihr geht es gut.
Am nächsten Morgen fährt Daniel fröhlich hupend in seinem VW-Bus vor, einen Picknickkorb voller Köstlichkeiten dabei.
Ich fühle mich in seiner Nähe wohl und Lisa auch. Lang war sie nicht so ausgeglichen, lang hat sie nicht so selten geweint. Das Radio dudelt „Always on my Mind“, von Elvis Presley, gefolgt von Rosenstolz, “Liebe ist Alles”.
Wir paddeln auf einem Ruderboot auf dem Wannsee herum, essen Feigen-Johannisbeer-Quiche, und die Sonne scheint.
Ganz zufällig rudert Daniel genau an der Stelle vorbei, an der wir das erste Mal so leidenschaftlich miteinander geschlafen haben. Die so perfekt weggedrückten Gefühle sprießen wieder hervor, wie ein lila Krokus im Frühling, und ich frage mich, wo überhaupt mein Problem ist. Ich habe das hübscheste, tollste Kind der Welt, sein Vater liebt mich über alles, ist dazu noch jung und gut aussehend und will unbedingt mit mir, trotz Knubbelwaden, Bauch- und sonstigen Falten, zusammenziehen. Und ich fürchte, ich liebe ihn auch. Wo also, bitteschön, ist mein Problem? Und plötzlich ist es, was auch immer es war, wie durch eine angenehme Brise weggeweht.
„Du hast also wirklich ein Zimmer für uns frei?“, frage ich das, was ich nie gedacht hätte, jemals einen Mann zu fragen.
Daniel nickt und strahlt, und ich mache Nägel mit Köpfen. Denn ich weiß, dass es zwischen Jacky und Werner nicht wirklich optimal läuft. Werner hatte sich doch ziemlich überfahren gefühlt, da nur Jacky über das Zusammenziehen nachgedacht hatte und nicht er. Jetzt fühlt er sich wohl etwas „eingeengt“, wie mir Jacky bei unserem letzten Mittwochslunch verraten hat. Sie will weiter bei ihm wohnen, da sie der Meinung ist, wenn das nicht klappt, dann hat es auch keinen Sinn. Ich bin aber eher der Meinung, wenn es Männern zu schnell zu eng wird, tritt ihr Fluchtinstinkt zutage. Das ist normal, und soweit muss man es ja nicht kommen lassen.
„Also gut“, höre ich mich sagen. „Dann ziehe ich aber ganz zu dir. Mit all meinen Schuhen.“ Ich sehe Daniel ganz genau an.
„Perfekt“, sagt er strahlend und glücklich und küsst meine Hand. „Und wann?“
Ich lächle. „Wie wär’s mit morgen?“ Soviel zum Thema: Männer darf man auf keinen Fall überrumpeln.
Lisa ist im schaukelnden Boot eingeschlafen,
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