Himmel, Polt und Hölle
sich doch wieder die Gedanken an
den Tod der Pfarrersköchin vor. Es war doch seltsam, daß niemand so richtig
darüber reden wollte. Gut, ein paar ihrer Freunde von damals waren heute brave
Ehemänner und vermutlich, wie auch ihre Frauen, ganz froh darüber, daß ein
leidiges Thema nunmehr endgültig vom Tisch war. Dem Pfarrer war die bewegte
Vergangenheit seiner Mitarbeiterin wohl auch peinlich, und er versuchte, ganz
im Stil seiner Kirche, die Wogen salbungsvoll zu glätten. Immer wieder zog er
es vor, auf Polts Fragen ausweichend oder gar nicht zu antworten. Und darüber,
wie er die Bewilligung erwirkt hatte, eine junge, schöne Frau in den Pfarrhof
aufzunehmen, wollte er auch nicht reden. Sogar Amalies Tod hüllte er in ein
Gespinst unverbindlicher Worte. Nur für Sekunden hatte er die Fassung verloren,
als die Rede auf den vergifteten Wein kam. Der Rest war Schweigen, obwohl sich
auch Virgil Winter Gedanken darüber machen mußte, wie alles geschehen hatte
können. Das galt erst recht für Firmian Halbwidl, den Mesner. Er war vom Tod
der Amalie offenbar schmerzlicher betroffen als alle anderen. Die Untat müsse
um jeden Preis gesühnt werden, hatte er gesagt, gleich, wen es trifft. Doch
auch Firmian äußerte keinen konkreten Verdacht, obwohl er bei seinem Hang zur
Wichtigtuerei bestimmt gerne mit Hintergrundwissen geprahlt hätte. Bruno Bartl
wiederum war ein erklärter Feind des Pfarrers, weil er die Beziehung zwischen
ihm und der Köchin gestört hatte und weil sie möglicherweise an seinem Wein
gestorben war. Für den Bruno war also alles klar, ein Gendarm konnte damit aber
kaum etwas anfangen. Blieb noch Franz Fürst, der nicht sagen wollte, was er
wußte, angeblich, weil er einen vergleichsweise harmlosen Übeltäter, den er zu
kennen glaubte, nicht mit Mord in Verbindung bringen wollte. Dieser Lehrer
verwirrte Polt, weil er so gar nicht ins dörfliche Bild paßte. Klar war nur,
daß es in allen Fällen eine Verbindung zu ihm gab.
Der Gendarm spürte ein Drücken im Magen, seufzte und
machte sich auf den Weg.
Er sah Franz Fürst in der Wiese liegen, wie schon
einmal. Ein müde gewordener Faun, dachte er und kniete nieder, um den
Schlafenden zu wecken. Es gelang ihm erst, als er ihn an den Schultern nahm und
kräftig schüttelte.
Franz Fürst schaute Polt unsicher an, brachte zuerst
nur einen krächzenden Laut hervor und trank aus einer Flasche, die neben ihm
stand. „Alkohol entzieht Wasser, Inspektor. Die Stimmbänder trocknen aus.“ Er
nahm noch einen Schluck. „Ich fürchte, mein Kopf will nicht so recht, bin wohl
noch immer ziemlich betrunken. Entschuldigen Sie bitte.“
Polt setzte sich ins Gras und schwieg.
Franz Fürst stand mühsam auf und ging auf das Preßhaus
zu. „Einen Augenblick Geduld, Herr Polt, oder darf ich Simon sagen, ich meine,
wo doch die Karin...“
Polt bekam einen roten Kopf. „Ja, gern.“
Als Franz Fürst zurückkam, trug er ein Buch in der
Hand. „Theodor Kramer, kennst du den?“
„Nicht wirklich.“
„Ich bin ein Idiot, Simon. Da kommt die Karin und
versucht mir Mut zu machen, mit meinen eigenen Vorsätzen. Und meine Antwort?
Ich besorge ihr ein schlechtes Gewissen mit meinem hundserbärmlichen Selbstmitleid.
Es ist ein Teufelskreis. In dem Buch da hab ich ein paar Zeilen gefunden, die
lese ich seit Tagen, das ist wie eine Droge. Da, hör einmal:
Unterm Laub wohnt der Stamm, unterm Roggen der
Grund, unterm Rasen Gestein und Gewalt; jedes Jahr, wenn im Herbstwind die
Stauden sich drehen und die Kleestoppeln schwarz auf der Lößleiten stehen, wird
urplötzlich das Land wieder alt.
Es ist Herbst, Simon,
mitten im Sommer.“
„Hast du schon einmal gesagt.“
„Hab ich vergessen. Ich vergesse viel.“
„Aber am Sonntag, in der Kirche, warst du ganz gut
in Form.“
„Nicht wahr? War aber auch Virgil Winters Meisterstück,
diese Formulierung in der Predigt. Das macht ihm keiner nach. Hat Applaus verdient.“
„Ich versteh nicht ganz.“
„Na, lügen will er doch nicht, als aufrechter Christ
und Pfarrer. Aber die Wahrheit so zu servieren, daß sie jeder gleich versteht,
war ihm auch nicht recht gewesen.“
„Könnte es sein, daß er auf Beziehungen angespielt
hat, wie zum Beispiel zwischen dir und der Amalie?“
„Sehr gut, setzen.“
„Und was war das für eine Beziehung?“
„Eine intensive. In jeder Hinsicht.“
„Auch ziemlich kompliziert, nicht wahr?“
„Wenn du damit endlose Diskussionen und mörderische
Streitereien meinst:
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