Himmel uber Langani
nicht, dass noch jemand in der Familie an Malaria erkrankt. Und die Salben gegen Insektenstiche? Das neue Medikament gegen Magenprobleme?«
»Alles in Butter, Mum. Beruhige dich. Ich bin wirklich bestens versorgt.«
»Zeit zur Abfahrt. Bist du bereit?« Raphael kam aus dem Haus.
Sarah nickte nur, denn plötzlich versagte ihr die Stimme. Ihr Gepäck war schon im Auto. Gleich würde es losgehen. Sie würde die liebevolle Geborgenheit ihrer Familie gegen eine Zukunft eintauschen, die ihr mit einem Mal bedrohlich erschien.
»Ihr wünsche dir, dass alle deine Träume in Erfüllung gehen, mein Kind. Dafür bete ich jeden Tag.« Als Betty ihre Tochter an sich drückte, brachen beide in Tränen aus. Dann strich sie Sarah das zerzauste Haar aus dem Gesicht und küsste sie. »Pass auf dich auf. Und vergiss nie: Falls es aus irgendeinem Grund nicht klappt, steht dein Zuhause dir immer offen. Wir sind immer für dich da, wenn du uns brauchst.«
»Danke, Mum, ich werde daran denken«, stieß Sarah mit erstickter Stimme hervor. »Ich liebe euch alle so sehr.«
Ihr Gesicht war tränenüberströmt, als sie ihrem Bruder um den Hals fiel. Mein Gott, das war ja wie damals im Internat, als sie krampfhaft gelächelt und vergeblich versucht hatte, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Warum konnten die Menschen, die man liebte, nicht an einem Ort versammelt sein? Aber sie hatte eine Entscheidung gefällt, und ein neues Leben erwartete sie. Und Piet. In zwei Tagen würde sie Piet sehen. Er hatte versprochen, sie vom Flughafen abzuholen. Dann würde sie Seite an Seite mit ihm leben und abwarten, was sich daraus ergab. Auch Deirdre war herausgekommen, um sich von ihr zu verabschieden. Besorgnis malte sich auf ihrem hübschen ernsten Gesicht, als sie ihr noch ein paar Tipps mit auf den Weg gab.
»Ich werde auf dich hören«, versicherte ihr Sarah, der die guten Ratschläge ausnahmsweise einmal nicht auf die Nerven fielen. Liebevoll umarmte sie ihre zukünftige Schwägerin. »Und pass auf, dass mein Bruder nicht über die Stränge schlägt.«
Tim verzog in gespielter Empörung das Gesicht und musste dann lachen.
Sarah lief die Stufen hinunter und setzte sich neben ihren Vater ins Auto. Während sie winkend die Auffahrt hinunterrollten, mischten sich in ihr Trauer, bange Erwartung und Aufregung. Doch als sie sich am Flughafen von Raphael verabschiedete, schnürte ihr der Abschiedsschmerz die Kehle zu, sodass sie kaum noch Luft bekam.
»Dad, ist wirklich alles in Ordnung?« Er wirkte unsicher auf den Beinen, und sie bemerkte den breiten Gürtel an seiner Hose, der verbergen sollte, wie stark er abgenommen hatte. Offenbar hatte er sich überanstrengt, als er ihr den Koffer aus dem Wagen gehoben hatte. Es dauerte einige Minuten, bis sein Atem wieder regelmäßig ging. Sarah umarmte ihn und hatte plötzlich Angst, ihn nie mehr wiederzusehen. »Ich kann es mir immer noch anders überlegen und mit dir zurückfahren, wenn du das möchtest …«
Doch er schob sie mit Nachdruck in Richtung Flugsteig. »Jetzt kriegst du wohl kalte Füße, mein Kind«, sagte er. »Ich freue mich auf diesen neuen Lebensabschnitt ebenso wie du. Also glaub bloß nicht, dass du jetzt noch einen Rückzieher machen kannst. Bis bald, mein Kind, wir werden dir oft schreiben. Und jetzt geh und werde glücklich. Los.«
Sarah gab ihre Bordkarte ab und betrat den Abflugsbereich. Als sie sich umdrehte, sah sie, wie ihr Vater ihr nachblickte. Er sog heftig an seiner Pfeife, um seine Bewegung zu verbergen. Sie warf ihm eine letzte Kusshand zu und verschwand in der Menge der einsteigenden Passagiere.
Kapitel 17
London, Oktober 1965
C amilla war wütend. Sie konnte sich nicht damit abfinden, dass die gescheiterte Ehe ihrer Eltern nur auf Lug und Trug gegründet war. Während George und Marina zumindest die Möglichkeit gehabt hatten, selbst über ihr Leben zu entscheiden, hatten sie ihre Tochter einfach vor vollendete Tatsachen gestellt. Für Camilla war es unbegreiflich, warum sie auch noch ein Kind in ihr verpfuschtes Zusammenleben hatten hineinziehen müssen. Außerdem bezweifelte sie allmählich, dass George ihr leiblicher Vater war. Sie nahm es ihren Eltern übel, dass sie sie zur unfreiwilligen Zeugin ihres Unglücks gemacht hatten. Offenbar hatte ihr Vater bereits in ihrer Kindheit ein Doppelleben geführt, stets voller Angst, dass seine Homosexualität ans Licht kommen könnte. Das hätte das Ende seiner Karriere bedeutet und ihm möglicherweise sogar eine
Weitere Kostenlose Bücher