Himmel uber Langani
riskant«, erwiderte er und umklammerte mit finsterer Miene das Steuer. »Hier ist der Boden sehr hart, und wir können die Spur verlieren, falls sie aus irgendeinem Grund vom Weg abgewichen sind.«
Je höher sie kamen, desto mehr wuchs Sarahs Gewissheit, dass sie Recht hatte. Als sie den Fuß des Abhangs erreichten, sprang sie aus dem Wagen.
»Kommt, kommt! Weit können sie nicht sein.«
»Sarah, bleib hinter mir«, befahl Anthony. »Lauf nicht ohne Waffe voraus.«
Doch sie verspürte keine Angst mehr, als sie losrannte. Äste schnellten zurück und rissen ihr die Haut auf wie Peitschenhiebe. Sie hörte, wie Anthony und Hannah nach ihr riefen, aber ihre eigenen gemurmelten Gebete übertönten die besorgten Stimmen ihrer Freunde.
»Bitte, lieber Gott, mach, dass ihm nichts geschehen ist. Lieber Gott, bitte, wenn du uns liebst, nimm ihn mir nicht weg. Bitte …«
Sie brach aus dem niedrigen Gebüsch rings um den Gipfel, blieb am höchsten Punkt stehen und sah sich verzweifelt um. Nichts. Im nächsten Moment spürte sie, dass das Böse ganz nah war, und sie erschauderte. Eine riesige männliche Hyäne stand zwischen den Felsen und starrte sie an. Das Tier pirschte sich tief geduckt heran, sodass sie seinen kräftigen Kiefer erkennen und seinen fauligen Atem riechen konnte, der in ihr Brechreiz auslöste. Langsam wich sie zurück und fragte sich, ob Anthony und Hannah wohl rechtzeitig hier sein würden, bevor die Hyäne sich auf sie stürzte. Bei diesem unwegsamen Gelände war Davonlaufen zwecklos. Also blieb sie stocksteif stehen und betrachtete gebannt die Muskelpakete an den massiven Schultern und die gefletschten Zähne, die sie mühelos zerreißen konnten. Da hörte sie ein Surren und bemerkte, dass es sich um einen fliegenden Speer handelte. Der Körper des Tiers wurde in die Luft geschleudert und sauste so dicht an Sarah vorbei, dass sie umgerissen wurde. Sie rollte über die Felsen auf das dichte Gebüsch am anderen Ende des Abhangs zu. Beim Fallen sah sie den Kikuyukrieger, der den Speer geworfen hatte und noch mit erhobenem Arm am Rande einer Felsrinne stand. Bis auf einen Lendenschurz, die Bemalungen an Armen und Beinen und den traditionellen Federschmuck und Perlenkragen war er nackt. Im nächsten Moment landete sie mit einem dumpfen Geräusch unten an den Felsen und hörte einen Knochen knirschen. Ein scharfer Schmerz schoss durch ihre Schulter bis hinunter in den Arm. Doch schon in der nächsten Sekunde war er vergessen.
Vor ihr war eine flache Grube ausgehoben worden. Darin lag ein Mann mit ausgebreiteten Armen und Beinen. Sein Körper war von oben bis unten aufgeschlitzt, und man hatte ihm die Organe und das Geschlechtsteil entfernt, sodass ein widerlicher Blutgeruch in der Luft lag. Mit einem Aufschluchzen kroch Sarah auf dieses Bild des Grauens zu. Seine mit Schlingpflanzen und Holzstäben auf dem Boden fixierten Hände waren ausgebreitet wie zum Gebet. Der Boden war mit seinem Blut getränkt, das inzwischen zu einer klebrigen Masse angetrocknet war. Sein Gesicht reckte sich dem Mond entgegen, der seine leeren Augenhöhlen beschien. Piet van der Beer war tot.
Sarah hörte sich selbst schreien wie ein waidwundes Tier, als sie sich zu ihm in die Grube schleppte und mit ihrer heilen Hand versuchte, die Fesseln zu lösen, die ihn am Boden festhielten. Bald war sie über und über mit seinem Blut bespritzt, während sie immer weiter unzusammenhängend auf ihn einredete und sein Haar, sein entstelltes Gesicht und seinen Körper berührte. Wie durch einen Schleier nahm sie wahr, dass Anthony und die Arbeiter sie aus der Grube hoben und dass Hannah schrille Klagelaute ausstieß. Sie wusste nur, dass man sie von Piet trennen wollte, und sie wehrte sich aus Leibeskräften. Schließlich erbrach sie sich ins Gebüsch und würgte all ihre Verzweiflung und Wut heraus, die sich auf dem Boden mit dem Blut ihres toten Liebsten mischten. Dann taumelte sie auf Hannah zu, die vor Schreck wie erstarrt war. Ihr Gesicht war eine Maske des Grauens, als sie mit wankenden Schritten den furchtbaren Ort verließ, wo ihr Bruder den Tod gefunden hatte.
Kapitel 25
Kenia, Dezember 1965
S päter konnte Sarah sich nur noch bruchstückhaft an jene Nacht erinnern, die vor ihr ablief wie eine Aneinanderreihung von blitzlichterleuchteteten Standaufnahmen. Lottie erwartete sie mit bleicher Miene, und es blieb Anthony überlassen, sie in den Arm zu nehmen und ihr von der unvorstellbaren Tragödie zu berichten. Er schob Sarah und
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