Himmel über Darjeeling
Nacht im Garten? Es war doch nicht das erste Mal, dass ich alleine hier war …«
Eine tiefe Röte überzog Sitaras Gesicht, und sie senkte den Kopf.
»Die … die Äpfel«, sagte sie schließlich hastig und zeigte auf die glänzenden Früchte, die noch immer auf den Kacheln verstreut lagen. Eilig sprang sie auf, um sie aufzusammeln, und reichte Winston einen davon.
Unwillkürlich musste er inwendig ob dieser Symbolik lächeln, doch als er ihn entgegennahm, seine und Sitaras Finger sich berührten und sie einander in die Augen sahen, vergaß er alles andere, sogar das Atmen. Für einen kurzen Moment gab es nur Sitara und ihn, glaubte er in die Tiefe ihrer dunklen Augen hineinzufallen und aufgefangen zu werden, ehe er sich mit Gewalt losriss.
»Kommst … kommst du wieder?«, fragte sie ihn schüchtern, als er sich zum Gehen wandte.
Er drehte sich noch einmal halb um und nickte.
»Ich verspreche es.«
5
N acht um Nacht kehrte Winston wie unter einem Bann in den Garten zurück, um Sitara zu sehen, verschob seine Treffen mit Mohan Tajid auf den Tag oder ließ sie gänzlich ausfallen. Er war verzaubert von ihrer Art zu reden, wie sie sich hielt und bewegte, und die Erschütterung über ihr grausames Schicksal wich allmählich der Freude, mit der er sah, wie sie immer öfter lächelte, schließlich den Kopf in den Nacken legte und lachte, ein Lachen voller Wärme, das ihren ganzen Körper vibrieren ließ. Er erzählte von England, seiner Heimat Yorkshire mit den düsteren, grauen Mooren und dem nebelverhangenen Himmel, von den schroffen, gischtbesprühten Felsen der Küste und von der Weite des Ozeans – ihr, die sie nie das Meer gesehen hatte, keine größeren Wasserflächen kannte als die Teiche, die sich nach den Regenfällen des Monsuns in der Wüste füllten. Er schilderte seine Eindrücke von Indien, das Leben in der Kaserne von Kalkutta, und Sitara hörte aufmerksam zu, stellte neugierig Fragen, wie er es tat, wenn sie ihm die alten Legenden Rajputanas erzählte oder von den Streichen, die sie und Mohan früher ausgeheckt hatten. Und immer wieder verebbten ihrer beider Worte, verklangen in einer Stille, die dennoch beredt war und in der sie mit Blicken stumme Zwiegespräche hielten.
Eines Nachts, der Mond stand als leuchtende Sichel am tintenblauen Himmel, wurde Sitara plötzlich still. Winston sah Tränen in ihren Augen glänzen, als sie den Kopf abwandte.
»Was ist?« Winston sah sie verunsichert an.
»Ich – «, sie schluckte, und die erste Träne rann über ihren Wangenbogen, als sie ihre im Schoß verschlungenen Finger betrachtete, »ich musste nur daran denken, dass du irgendwann wieder fortgehen wirst.«
Winston schwieg betreten. Er hatte selbst jeden Gedanken daran beiseite geschoben, dass sein Aufenthalt im Palast einmal zu Ende gehen und er nach Kalkutta zurückkehren würde. Seit jener Nacht, in der er Sitara begegnet war, schien Zeit für ihn nicht mehr zu existieren, die Welt zum Stillstand gekommen zu sein, doch ihre Bemerkung hatte die Welt außerhalb der Palastmauern schlagartig wieder in sein Bewusstsein gebracht und ihn wie ein Hieb in die Magengrube getroffen.
Zu gern hätte er sie getröstet, ihr seine Rückkehr versprochen, aber er wusste, er würde dieses Versprechen niemals halten können. Seine letzten Treffen mit dem Raja hatten ihm klar gemacht, dass dieser niemals seine Macht der Krone abtreten würde, nicht einmal um die Zusage, seinen Status nominell behalten zu können. Seine Mission war gescheitert, und diesem Versagen würde er sich in Kalkutta stellen müssen. Eine zweite Chance würde er kaum erhalten, und es war nicht zu erwarten, dass die Truppen der East India Company das Fürstentum besetzen würden.
» Winston …« Ihr heiseres Flüstern ließ ihn aufsehen.
Sitara war aufgestanden und vor ihn getreten, und wie hypnotisiert sah er zu, als sie sich aus ihrem Sari zu wickeln begann. Bahn um Bahn des weißen Stoffes glitt zu Boden, bis Sitara in all ihrer nackten Schönheit vor ihm stand. Ihre Haut schien ein warmes, silbernes Licht auszusenden, und Winston sah erstaunt, dass sie bei weitem nicht so schmal und zart war, wie sie in den Falten und Raffungen des Saris auf ihn gewirkt hatte. Ihre Brüste waren voll und schwer, die Taille schlank, lief kurvig in die sanfte Rundung ihrer Hüften aus. Wie schwere Seide umfloss ihr schwarzes Haar ihren Körper, und die Verletzlichkeit, die ihre Nacktheit verriet, widersprach dem Blick in ihren Augen, der Stolz auf
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