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Himmel über Darjeeling

Himmel über Darjeeling

Titel: Himmel über Darjeeling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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Völkerreichtum Indiens und die englische Herrschaft hatten auch Delhi ihren Stempel aufgedrückt, und so fanden sich in der Stadt zwischen Moscheen und den Mausoleen islamischer Heiliger hinduistische Tempel für Shiva, Hanuman und Ganesh, genauso wie die mit kunstvollen Plastiken ausgeschmückte St. James’s Church, während am Raj Ghat am Ufer des Yamuna Hindus ihre Toten den heiligen Flammen übergaben. In den Straßen standen Kolonialbauten, die Sitz des britischen Statthalters waren, des Telegrafenamtes, der Polizeiwache oder des Colleges, private Stadthäuser von Beamten und Militärs, kunstvoll angelegte Gärten und Parks und von Bäumen gesäumte Straßenzüge.
    Bewässerungskanäle umliefen die Stadtmauer aus rotem Sandstein, durchzogen die Straßen, endeten in öffentlichen Zisternen an Straßenecken und Plätzen, in den privaten der Innenhöfe der herrschaftlichen Wohnhäuser, die mit ihren zahllosen Innenhöfen und verschachtelten Gebäudeteilen oft ein eigenes Stadtviertel bildeten. Vom Roten Fort aus teilte die vierzig Yards breite Prachtstraße des Chandni Chowk, des Orts des Mondlichts, die Stadt in zwei Hälften, von einem Wasserkanal längs halbiert, gesäumt von Kaffeehäusern und Geschäften, Hotels und Banken unter ihren Arkaden, mehr ein Symbol für eine Lebensart denn eine bloße Hauptverkehrsader. Europäische Besucher schwelgten in Vergleichen mit Paris, London, Moskau oder Versailles, wenn sie die Gärten, die baghs , zu Gesicht bekamen, verschwenderisch in ihrer Ausdehnung, gleichermaßen überbordend wie effektvoll angelegt, die sich parallel zum Chandni Chowk über fast dessen gesamte Länge hinzogen.
    Breite Straßen, in denen sich Elefanten zwischen den Fußgängern hindurchwälzten, elegante Wagen mit edlen Pferden vorwärtsrollten, die klapprigen Gefährte mit den bulligen Ochsen davor abdrängend, Lastenträger, die sich barfuß eilig ihren Weg bahnten. Soldaten der East India Company in ihren prächtigen Uniformröcken, elegante Ladys in offenen Kutschen unter ihren Sonnenschirmen, Abenteurer und geckenhafte Touristen, wie vorüberhuschende graue Mäuse die Missionare und ihre Ehefrauen, hin und wieder eine Ordensschwester. Reiche muslimische Kaufleute, Mullahs, Handwerker, die staubbedeckten knorrigen sadhus , nur mit einem Lendenschurz und ihrem langen verfilzten Bart bedeckt, seit mehreren Jahren in immer derselben Haltung an immer der gleichen Straßenecke stehend oder sitzend, um so aus dem Kreislauf der Wiedergeburt erlöst zu werden.
    Das Treiben der Straßen sickerte in die verwinkelten Gassen und durch halsbrecherische Treppen. Männer, Frauen, Kinder, Greise, mit Silber und Gold und Juwelen geschmückt, in Seide oder saubere, leuchtend eingefärbte Baumwolle gehüllt, dreckig, verlaust, zerlumpt, lebensstrotzend ihrem Tagwerk oder dem süßen Müßiggang nachgehend, zu Tode erschöpft nur mühsam einen Fuß vor den anderen setzend, nur noch in einer Ecke kauernd. Straßenmusiker, Händler, Diebe, Bettler, Huren; Silberschmiede, die mit abwesendem Blick irgendein Kraut kauten oder Tee tranken, während sie auf den nächsten Kunden warteten, Handwerker, die eifrig ihrer Arbeit nachgingen, Schuhe anfertigten, Metall hämmerten, Stoffe webten – von irgendwoher konnten sie den beißenden Geruch nach Farbe, Leder und Urin riechen, der aus den Bottichen der Gerber und Färber aufstieg. Es roch nach Schweiß, nach Staub und nach Kot, nach frischem Holz und frischer Glut, nach Curry und Pfeffer und Muskat, Rosenholz und Zimt, nach feuchtem und dann wieder nach sonnendurchglühtem Stein, nach gerösteten Nüssen und metallisch nach dem Blut geschlachteter Tiere. Nach Fäulnis, nach Tod, nach sauberem Wasser und Gras und dem Laub der Bäume in den zahllosen baghs , nach gekochtem Reis und den Funken geschmiedeten Eisens. Lieder drangen durch die Luft, schlängelten sich wie feiner Rauch durch das engmaschige Geflecht aus Hindustani, Urdu, Bengali, Englisch, Persisch, Arabisch, Gujarati und all der anderen Sprachen und Dialekte des Subkontinentes, das die Stadt überzog.
    Dass die Stadt dennoch nicht in absolutem Chaos versank, verdankte sie einem strikten Regelwerk und einer allumfassenden Bürokratie. Das Stadtgebiet von Delhi war in zwölf Bezirke, die thanas , eingeteilt, denen jeweils ein thanadar vorstand, und jeder thana wiederum war eine Ansammlung von mahallahs , Nachbarschaften, für die jeweils ein mahallahdar verantwortlich war.
    Doch genau diese Verwaltungsstruktur

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