Himmel über Darjeeling
Lächeln vertiefte sich, als er die Feder in Tinte tunkte und wieder auf das Papier setzte. »Allerdings solltet ihr künftig keinem Schreiber mehr Anlass geben, euch genauer zu beobachten.«
8
E ndlich, Anfang September, rissen die tiefhängenden bleigrauen Wolken auf, gerieten die Regengüsse ins Stocken, tröpfelten nur noch, versiegten ganz. Weißlich grauer Himmel kam zum Vorschein, dann rasch leuchtendes Blau, als die Wolkenwand davonzog, ihrem alljährlichen Pfad nach Nordwesten folgend, quer über die Wüste Thar bis an die Berge des Hindukusch. Es war Anwar, der Schreiber, der heimlich drei stämmige Pferde von genügsamer und ausdauernder Natur besorgte, Proviant und Kleidung zum Wechseln, geschickt ebenso seinen guten Ruf im Viertel wie seine blühende Phantasie ausnutzte und so unbequeme Fragen oder argwöhnische Blicke gleich im Keim zu ersticken vermochte. Und er war es auch, der eines frühen Morgens drei als Wüstenbewohner verkleidete, unter ihren Turbanen halb vermummte Reisende durch das von einer Stunde zur anderen wieder aufbrandende Menschengewühl in den Gassen des Basars schleuste, zwischen stumpfsinnig glotzenden Rindern, missmutigen Kamelen und den überall herumspringenden Affen hindurch, vorbei an der mächtigen Fassade des Hawa Mahal , des Palasts der Winde, der seinen Namen von seinen tausend Fenstern erhielt, durch die die Frauen des Palastes das Treiben auf der Straße betrachteten, ohne selbst gesehen zu werden, und durch die beständig ein angenehmer Luftzug durch die Gemächer der unteren Stockwerke strich. Am Chand Pol setzte Anwar sie auf die bereitstehenden Pferde, während die Morgensonne freundlich ihren Glanz über die Zinnen der Stadtmauer warf. Eine eilige Verabschiedung, dann trabten die Pferde munter voran durch das Tor, bekamen den noch feuchten Boden offenen Landes unter die Hufe, schnupperten neugierig und mit geblähten Nüstern die reingewaschene, würzig nach Kräutern, Laub und nasser Erde duftende Luft.
Es war eine gänzlich andere Landschaft, die die drei Reiter empfing und sie auf ihrer Reise begleitete. Die langsam auftrocknende Erde hielt Sand und Geröll noch fest, war glatt und trittsicher, und eine milde Sonne wärmte die angenehm feuchtklare Luft. Die kristallinen Gipfel des Aravalli-Gebirges überragten die grün schillernden Laubmeere seiner Hänge. Sanft geschwungene Hügel, manche davon mit alten Festungsmauern gekrönt, wechselten sich mit tiefen Tälern ab. Die winzigen Dörfer und kleinen und großen Städte mit ihren Forts ließen sie links liegen, ebenso wie die bunt bemalten havelis , die geräumigen Landhäuser reicher Kaufmannsfamilien, und auch den Kamelkarawanen, die über das Land zogen, gingen sie aus dem Weg. Reißende Ströme und quirlige Bäche durchzogen das üppig schießende Grün von Sträuchern, Büschen und Baumgruppen, das sich an manchen Stellen zu einer tiefgrünen Oase um einen in der Sonne glitzernden Teich oder See zusammenballte.
Wie grelle Blitze stürzten sich Eisvögel in die Fluten, und Aberhunderte von Kranichen erhoben sich unter gewaltigem Rauschen von der Wasserfläche in die Luft. Steingrau und behäbig gluckten ihre plumperen Verwandten, die Trappen, am gras- und schilfgesäumten Ufer zusammen. In den frühen Morgenstunden versammelten sich unter ohrenbetäubendem Getöse Tausende gefleckter Flughühner an Wasserstellen, um ihren Durst zu löschen, ehe sie urplötzlich wieder verschwanden und nur Stille zurückließen. Flamingofedern gleich schaukelten die Blüten des Kapernstrauchs an dessen glatten Zweigen, und in Dolden hingen Unmengen winziger Blätter von den dornigen Ästen des khjeri -Baumes. Herden graziler Gazellen und Hirschziegenantilopen mit ihren steil aufragenden geriffelten Hörnern jagten in weiter Ferne an ihnen vorbei, und nachts, in ihrem einfachen Lager, konnten sie die Wölfe heulen und Füchse bellen hören. Einmal gar erhaschten sie einen Blick auf einen einsam durch die Gegend streifenden Löwen. Es war eine friedfertige, vom Monsun reingewaschene Landschaft, durch die sie leichten Herzens und wie auf Vogelschwingen hindurchritten, und die Gegenwart wilder Tiere, die sie umfassende Einsamkeit, ließen sie sich sicher fühlen. Ihre Laune war heiter, in manchen Momenten fast übermütig, und wären nicht Mohan Tajids wachsame Blicke gewesen, die immer wieder die Umgebung nach möglichen Verfolgern absuchten, hätten sie vergessen können, dass sie sich auf der Flucht befanden.
Je weiter
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