Himmel über Darjeeling
sie nach Norden kamen, desto flacher wurde die Landschaft, waldiger, aber auch felsiger. Und dann lag Delhi vor ihnen, breitete sich weit über die Ebene aus, fast verträumt unter dem Glanz des Sonnenlichts auf den Dächern und Türmen der Stadt. Doch der Schein trog: Hinter dem Stadttor in der Mauer aus rotem Sandstein erwartete sie eine Welt für sich, lebhaft und laut, geprägt vom Lauf der Jahrhunderte, den Menschenmassen, die die Stadt bevölkerten, jetzt und in der Vergangenheit.
Delhi wechselte seinen Namen fast so oft wie seine Gestalt. Seit fast dreitausend Jahren konzentrierte sich am Ufer des Yamuna die Macht, und genauso lange war die Stadt ein Symbol für deren Vergänglichkeit, nannte man sie Friedhof der Dynastien . Es hieß, ein Fluch läge über diesem Ort, ein böses Omen – keine Macht, die darauf gründete, würde lange Bestand haben. Siebenmal wurde die Stadt aufgebaut und wieder zerstört, und jedes Mal erstand sie wie ein Phönix aus seiner Asche wieder auf, über und neben Ruinen, dehnte sich immer weiter über die Ebene aus.
Dhilika hieß die Siedlung, zwischen dem achten und neunten Jahrhundert von der Rajputendynastie der Tomar am verzweigten Flußbett gegründet, geschützt von der steinernen Festung namens Lal Kot, mit prächtigen Tempeln, Wasserspeichern und anderen Großbauten, steinernen Zeugnissen von Herrschaft und Reichtum. Die Chauhan, eine konkurrierende Rajputendynastie, lösten die Tomar ab und erweiterten sowohl Festung als auch Stadt. Türken aus Zentralasien, Afghanen, Mongolen folgten rasch hintereinander. An der Wende zum dreizehnten Jahrhundert hatten die afghanischen Söhne des Islam eine fast achtzig Yards hohe kannelierte Steinsäule auf den Ruinen von Lal Kot errichtet, die vom Sieg des Islam über das Herz Indiens zeugen sollte, und die kufischen Schriftzeichen im Stein verkündeten, dass diese Säule den Schatten Allahs nach Ost und West werfen sollte.
Der Mogulherrscher Shah Jahan schließlich, dem Agra das traumgleiche Taj Mahal verdankte, erbaute die siebte Stadt am Yamuna, Shahjahanabad. Respekteinflößend thronte am Ostende der Stadtmauer und am Westufer des Flusses die weitläufige Residenz und Festungsanlage des Lal Qila, des Roten Forts, über der Stadt, eine Meile lang und eine halbe breit, ganz aus rotem Stein, der sich links und rechts des mächtigen, von achteckigen Türmen flankierten Lahore-Tors zu luftigen Dachpavillons und zahllosen minarettähnlichen Seitentürmchen aufschwang. Innen hatten sich die kunstfertigsten Handwerker bei der Ausschmückung des Diwan-i-Khas überboten, der Halle für Privataudienzen, aus mit Edelsteinen geschmücktem Marmor, in dem der sagenumwobene goldene Pfauenthron der Mogule stand, ehe er 1739 bei der Plünderung Delhis in die Hände der persischen Armee geriet. Hier residierte seit 1837 Bahadur Shah II., der Enkelsohn des letzten Mogulkaisers Shah Alam, halb Hindu, halb Moslem, ein zerbrechlicher alter Mann mit weißem Bart und Hakennase, der Poesie ebenso zugetan wie dem Opium, nominell König von Delhi, dessen Konterfei die Münzen zierte, die in der Stadt in Umlauf waren – doch geprägt waren diese von den Briten, so wie Bahadur Shahs Lebensstil durch eine beträchtliche jährliche Apanage der Krone finanziert wurde, gegen die er seine Macht eingetauscht hatte.
Nicht minder prächtig, nicht weniger grandios stand auf einer kleinen Anhöhe daneben als Lobpreisung Allahs die Jama-Masjid-Moschee mit ihren glänzenden Kuppeln, steil in den Himmel aufragenden kannelierten Minaretten und einem gepflasterten Innenhof, groß genug für zwanzigtausend betende Gläubige, eine der größten Moscheen der gesamten islamischen Welt.
Doch auch das Mogulreich zerbrach, fiel dem Fluch der Stadt am Fluss Yamuna und der militärischen Übermacht der Engländer zum Opfer. Nominell blieb Delhi, wie es nun hieß, auch im neunzehnten Jahrhundert Hauptstadt der Moguln, doch viel mehr als der Titel und eine großzügige Apanage blieben dem jeweiligen Mogulherrscher von der einstigen Macht über Delhis Ebenen nicht. Und deutlich sichtbar erstreckte sich knapp drei Meilen nordwestlich des Stadtzentrums, nördlich des Kaschmirtores, die Militärkaserne, das Herzstück der britischen Macht.
Kaum eine Stadt zeigte deutlicher das indische Antlitz des Islams, und Delhis Sprache war Urdu, die Sprache der alten Dichter, die Nachtigallen und Rosengärten besangen und die Legenden der stolzen Mogulherrscher erzählten. Aber der
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