Himmel über Darjeeling
es Zeit war, sich schlafen zu legen: Winston und Sitara in ihrem Raum, Mira Devi in ihrer Kammer und Mohan in dem äußersten der Zimmer, die sie bewohnbar gemacht hatten.
Es war an einem solchen Abend, spät im Januar, als Mira Devi von einem König erzählte, dem eine Tochter geboren worden war, schön wie der Tag, aber mit einem Mal auf der Stirn. Als sie im heiratsfähigen Alter war, sandte er seinen Hofpriester aus, ihr einen Mann zu finden, der ebenso gezeichnet war. Der Priester wanderte und wanderte, aber er fand keinen Mann, der ein solches Geburtsmal aufwies. Endlich kam er in einen Dschungel und fand dort einen Löwen mit einem Flecken auf der Stirn. Diesen bestimmte er zum Gatten der Königstochter und nahm ihn mit in den Palast. Als Mira Devi an die Stelle kam, an der die Königstochter mit dem Löwen verheiratet werden sollte, bemerkte sie den Schweiß auf Sitaras Stirn, wie sich deren Finger um die Näharbeit krampften, an der sie geraume Zeit schon keinen Stich mehr getan hatte. Ohne Hast half sie Sitara in das Schlafzimmer, eilte dann geschäftig zwischen diesem Raum und der Küche hin und her, nicht ohne Mohan und Winston heftig anzufahren, ihr nicht im Weg herumzustehen, sondern entweder am Kamin sitzen zu bleiben oder spazieren zu gehen, ehe sie ihnen die geschnitzte Holztür endgültig vor der Nase zuschlug. Das kehlige Stöhnen Sitaras, ihre Schmerzenslaute schnürten Winston den Hals zu, und Mira Devis beruhigendes Murmeln, das durch die Tür drang, besänftigte seine Furcht keineswegs.
Ein banges Warten begann, Stunde um Stunde, und während Mohan bewegungslos in stummem Gebet verharrte, nur dann und wann aufstand, um Holz im Kamin nachzulegen, marschierte Winston unruhig und voller Angst durch den kleinen Raum, verließ ihn hin- und wieder, um frierend in der Kälte an den tintenschwarzen Himmel mit den blinkenden Sternen, über das im Schneelicht leuchtende Tal zu blicken, eine namenlose Macht demütig und wortlos um Beistand bittend. Sitaras Keuchen und Jammern ging in langgezogene, dunkle Schreie über, dann plötzliche Stille, ein Aufschluchzen, und der erste Schrei eines neuen Lebens ertönte, kraftvoll und wütend, und Mira Devi lachte lauthals auf. Hastig stand Winston auf, verharrte sehnsüchtig vor der Tür, wagte es jedoch nicht, einzutreten, hörte Mira Devi eilig hin und herlaufen, und als er glaubte, seine Ungeduld nicht länger bezähmen zu können, öffnete sich die Tür, und Mira Devi ließ sie herein, ein breites Strahlen auf ihrem hageren braunen Gesicht.
Ein schwerer, süßlicher Duft nach Blut und Schweiß hing in der Luft, durchmischt vom frischen, krautigen Duft des Räucherwerks, das Mira Devi in einer Ecke des Raumes entzündet hatte, und dem frischer Wäsche. Matt lag Sitara in den Kissen, ihr Gesicht fast weiß vor Erschöpfung, aber ihre Augen, riesig im blassen Gesicht, leuchteten. Ehrfürchtig, in der Angst, es fallen zu lassen oder in seinen starken Armen zu zerquetschen, nahm Winston das Bündel entgegen, das ihm Mira Devi hinhielt, und vorsichtig spähte er in die Falten des Tuches hinein, bestaunte das winzige Wesen, das so zerbrechlich wirkte und zugleich so voller Lebenskaft.
»Dein Sohn«, hörte er Sitara sagen, ihre Stimme heiser vor Anstrengung, aber voll bewegten Stolzes und Wärme, und Winston glaubte, vor Glück zerbersten zu müssen.
»Er hat es sehr eilig gehabt«, lachte Mira Devi, »und er weiß schon genau, was er will und was ihm gar nicht behagt!«
Mohan sah ihm über die Schulter und schämte sich seiner Tränen nicht, die in ihm in den Augen standen. »Wie soll er heißen?«, fragte er leise.
»Ian«, sagte Winston bestimmt und dachte an seinen Großvater mütterlicherseits, einen respekteinflößenden, angesehenen Mann, der bis ins hohe Alter die Fäden der Familie fest in der Hand gehalten hatte.
»Rajiv«, ließ sich Sitara von ihrem Lager her nicht weniger bestimmt vernehmen und streckte die Arme nach ihrem Sohn aus. » Rajiv «, erklärte sie nachdrücklich, als Winston ihn ihr übergab und sie in das winzige Gesicht blickte. Ein Ausdruck überbordender Liebe stand in ihren Augen, als sie das Neugeborene küsste und murmelnd hinzufügte: » Kleiner König. « Sie sah auf, blickte abwechselnd zu Winston und Mohan, und in diesem Moment war sie ganz die stolze Rajputentochter. »Trotz allem, was geschehen ist – er ist noch immer ein Nachfahre Krishnas und von fürstlichem Geblüt!«
Einen Augenblick herrschte Ratlosigkeit ob
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