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Himmel über Darjeeling

Himmel über Darjeeling

Titel: Himmel über Darjeeling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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langsam entfernte. Mira Devi weinte haltlos in das freie Ende ihres dupatta , Tientsin fuhr mit dem Finger in einer wischenden Bewegung unter den Rand seiner Brillengläser, und Ian wusste, dass es ein Abschied für immer war.
    Etwas stupste ihn am Arm, und er sah auf. Mohan, die schlafende Emily in seine Armbeuge gebettet, hatte sein Pferd neben das von Winston gelenkt. Seine Augen glänzten hart wie polierte Steine, und mit belegter Stimme sagte er:
    »Blick nie zurück. Nie .«
    Sie verschwanden in den dichten Wäldern, und Mira Devis Mann führte sie über verschlungene, uralte Pfade, die nur wenige Einheimische in diesem Tal noch kannten, nicht zu reden von Fremden, vorbei an schroffen Felswänden, durch vom Schmelzwasser und Regen angeschwollene Bäche und Flussbetten, und die abweisende Landschaft, so unähnlich dem sanften, freundlichen Tal, das sie kannten, verstärkte nur das Gefühl der Bedrohung, das sich über sie gelegt hatte und sie in Schweigen verharren ließ. Bis an den Rand der Shivalik-Kette ritten sie so zusammen, Tag um Tag, Nacht für Nacht, kaum Zeit für eine kurze Rast für Mensch und Tier, und als irgendwann, viele Tage und Nächte später, wie es schien, der schmale, steinige Weg wieder abfiel, sich an einer Stelle verbreiterte, brachte Mira Devis Mann sein Pferd zum Stehen und wandte sich um.
    Mohan ritt zu ihm, und leise erklärte ihr Begleiter ihm etwas, und Mohan nickte immer wieder zum Zeichen, dass er verstanden hatte. Schließlich kramte Mira Devis Mann einen kleinen Gegenstand aus seiner Jacke hervor und drückte ihn Mohan in die Hand. Einen Augenblick sahen sich die beiden Männer an, dann klopfte Mohan seinem Gegenüber ebenso rau wie herzlich auf die Schulter und ließ sein Pferd weitergehen, ohne sich noch einmal umzudrehen. Die anderen Pferde folgten ihm, den abschüssigen Pfad voll lockeren Gerölls entlang, der sich wieder verjüngte, gerade nur so breit war, dass ein Pferd hindurchkam, und Ian glaubte, in seinem Rücken die besorgten Blicke von Mira Devis Mann zu spüren.
    Heiß brannte die Sonne auf die Ebene, die sie durchquerten, zügig, doch langsam genug, um die Pferde und sich selbst zu schonen. Blind für die eigenwillige Schönheit der Landschaft um sich herum, folgten sie Mohan Tajid, der sich strikt an die Wegbeschreibung hielt, die sie durch unberührte Landstriche führte und doch immer wieder einen geeigneten Platz zum Rasten mit frischem Wasser enthielt. Und endlich, kaum dass ihre Vorräte zur Neige gegangen waren, tauchten aus der flirrenden Luft vor ihnen in der Sonne funkelnde Dächer und glitzernde Mauern auf, und einige Stunden später verschluckte sie das Gewühl hinter den Stadtmauern Delhis.

13
      I m vorangegangenen Winter hatte sich im Land ein Wind erhoben, flüsternd, leise, heimlich, war flach über den Boden gekrochen, hatte hier kleine Staubwolken aufgewirbelt, dann dort, war weitergehuscht, von Stadt zu Stadt gesprungen – Geschichten hatten die Runde zu machen begonnen, Erzählungen von Weissagungen, von der nahenden Wiederauferstehung verwaister Throne, von den Engländern bevorstehendes Unheil. Einige davon waren von bösen Zungen absichtlich in die Welt gesetzt worden; andere waren aus einem unbestimmten Wunsch heraus entstanden, aus einer Sehnsucht nach den alten Tagen, in denen Indien noch nicht von Engländern beherrscht gewesen war.
    Es war im Januar gewesen, als der Magistrat von Mathura, in der Nähe von Agra, vier chapatis , aus grobem Mehl gebacken, auf einem Tisch in seinem Büro vorgefunden hatte. Als er sein Personal nach deren Herkunft befragte, bekam er zur Antwort, dass ein unbekannter Mann einen einzelnen chapati dem Wächter im Nachbardorf gegeben und ihn instruiert hatte, vier solche zu backen und sie an die Wächter der umliegenden Dörfer zu verteilen, mit der Bitte, genauso zu verfahren. Er hatte getan, wie ihm geheißen war, die Teigfladen aber ebenso umsichtig wie pflichtbewusst dem Magistrat zukommen lassen. Ähnliche Berichte trafen schon am nächsten Tag aus anderen Bereichen des Distrikts ein, und bald war in der Zeitung zu lesen, dass diese chapatis in ganz Nordindien auf die gleiche Weise verbreitet wurden. Dieses Vorkommnis war so ungewöhnlich, dass sich bald die Regierung einschaltete und Nachforschungen unternahm, doch trotz aller Bemühungen konnte nicht geklärt werden, wer oder wo genau die Verteilung der Fladen begonnen hatte oder was sie bedeutete. Es hieß, ihr Ursprung läge im Marathen-Fürstentum

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