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Himmel über Darjeeling

Himmel über Darjeeling

Titel: Himmel über Darjeeling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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aufkeimende Pflanze der Revolte durch die Erdkrume brach! Ausgerechnet Meerut, wo britische Soldaten und sepoys zahlenmäßig in ausgewogenem Verhältnis standen, die Briten besser bewaffnet waren und in hohem Ansehen standen, was ihre Fähigkeiten im Kampf betraf.
    Fünfundachtzig sepoys hatten den Gebrauch der berüchtigten neuen Gewehre verweigert und wurden dafür drakonisch bestraft: Alle sepoys der Garnison wurden unter drohenden Gewehren und Säbeln in Reihen aufgestellt, und die fünfundachtzig Meuterer mussten sich vor den Augen ihrer Kameraden ihrer Uniform, auf die sie so stolz gewesen waren, entledigen, ehe der Schmied ihnen Ketten anlegte und sie die lange Haftstrafe antraten, zu der sie verurteilt worden waren – zehn Jahre Zuchthaus mit Zwangsarbeit. Es war der 9. Mai 1857, ein Samstag, und abends suchten einige Kameraden der so gedemütigten sepoys Trost in den Armen der Huren des Sudder Bazaar. Aber sie holten sich eine Abfuhr nach der anderen.
    »Wir haben keine Küsse für Feiglinge!«, kreischten die Weiber. »Was seid ihr für Männer – lasst eure Kameraden in Eisen ins Gefängnis wandern? Geht und holt sie raus, bevor ihr für Küsse zu uns kommt!«
    Die Schmach der Demütigung, die alle sepoys am Morgen erfahren hatten, glomm noch in ihnen, und so angefacht, begannen Zorn und Rachsucht in ihnen aufzulodern. Tobend und brüllend strömten sie auf die belebten Straßen, trugen die Flamme der Meuterei weiter durch die Stadt und die Garnison.
    Die Unruhe blieb nicht unbemerkt – doch in der für Europäer ungewohnten Hitze, mit etlichen Offizieren im Urlaub in den hill stations , maßen die Vorgesetzten der sepoys den Vorkommnissen keine weitere Bedeutung bei, begaben sich zu ihrer Nachtruhe, am nächsten Morgen in ihren leichten Sommeruniformen zum sonntäglichen Gottesdienst, nahmen den Lunch mit ihren Familien ein, ruhten danach in den kühlen Räumen. Es war ein stiller Nachmittag in der Garnison, und die letzten friedlichen Stunden verstrichen.
    Kurz nach fünf Uhr nachmittags ertönte ein Schlachtruf in den Gassen des Sudder Bazaar: » Allah-i-allah maro maringhi – Mit Gottes Hilfe, lasst uns die Christen töten!«, und der Sturm brach los. Donnernde Hufe, schrilles Wiehern, Alarmglocken, klingender Stahl von Schwertern, Schüsse, Schreie, und über allem das Zischen in Brand gesteckter Strohdächer, durchmischt mit einem weiteren Schlachtruf: » Din! Din! Din! – Für den Glauben!« Das Gefängnis wurde gestürmt, die inhaftierten Kameraden befreit und bewaffnet, Läden und Bungalows geplündert, die Kabel der Telegrafenlinie nach Delhi gekappt, Offiziere erschossen, Frauen und Kinder niedergemetzelt, und bis die Briten sich gefasst und ihre Truppen zusammengerufen hatten, war die auf alle sepoys der Garnison, zweitausend Mann, angewachsene Horde Meuterer aus der Stadt verschwunden und ließ im Schein der Flammen Trümmer, Chaos, Leichen, Angst und Verstörung zurück.
    Es waren die dunklen Stunden zwischen Sonnenuntergang und Mondaufgang, zwischen sechs und neun Uhr. Sie ritten bis Rethanee, zitternd noch von Zorn und Blutdurst und Angst vor ihrer eigenen Kühnheit. Manche von ihnen wollten nach Hause, nach Rohilkhand oder Agra, doch sie wussten, dass es kein Zurück mehr gab – nur noch ein Vorwärts, vorwärts nach Delhi, das keine Truppen innerhalb der Stadtmauern hatte, dafür aber ein umfangreiches Magazin – und Bahadur Shah, den König von Delhi. Und so gaben sie ihren Pferden die Sporen, ritten die Nacht hindurch nach Süden, und mit ihnen glomm ein Funke an der Lunte, strebte langsam auf das Pulverfass zu, das halb Indien in Flammen setzen sollte.

14
      V on all dem ahnte Mohan Tajid genauso wenig wie all die anderen Seelen in Delhi, Hindus, Moslems, Christen, die sich an jenem frühen Morgen zu rühren begannen, sich gähnend streckten und von ihrem Nachtlager erhoben, um ihr Tagwerk zu beginnen, an einem Tag, den nichts zu unterscheiden schien von den vorangegangenen.
    Doch während die Bevölkerung Delhis noch ihrer Morgenroutine nachging, war ein Teil der kriegerischen Horde zu Bahadur Shah vorgedrungen, hatte ihn um Hilfe und Führung gebeten. Und solange der alte Mann halb geschmeichelt, halb entsetzt über die unerwartete Entwicklung der Dinge noch überlegte, was er tun sollte, schwärmten die restlichen meuternden sepoys aus, töteten die einzelnen im Fort stationierten britischen Offiziere und Soldaten, strömten dann weiter in die Stadt, wo sie voller Hass und

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