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Himmel über Darjeeling

Himmel über Darjeeling

Titel: Himmel über Darjeeling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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Gott!«
    Mohan Tajid öffnete die Augen und ließ wachsam seinen Blick durch die enge Kammer schweifen. Im Halbdämmer konnte er die schemenhaften Konturen der schlafenden Leiber seiner Familie erkennen – Winston und Sitara nebeneinander, dicht neben ihm selbst Ian, der wie immer die Arme fest um seine kleine Schwester geschlungen hatte. Selbst im Schlaf noch schien er sie beschützen und trösten zu wollen, Emily, die noch immer verstört wirkte, ihre Flucht aus dem Tal ihrer Heimat und die fremde Umgebung der lärmenden, schmutzigen Stadt nicht verkraftet zu haben schien.
    Der Name eines entfernten Verwandten, der in Delhi sein Glück mit einer Schuhmacherwerkstatt zu machen versuchte und den Mira Devis Mann ihm genannt hatte; der Stein mit dem eingeritzten Symbol, den dieser Mohan zum Abschied in die Hand gedrückt hatte, hatten ihnen dieses Mal die Tore der thanadars und mahallahdars geöffnet, und in einer der drangvoll engen Gassen, zwischen Schuhmachern, Schneidern und Töpfern, hatten sie eine mehr als bescheidene Bleibe gefunden – vorübergehend , wie sie sich gegenseitig versicherten, aber eine erschöpfte Resignation hatte sich in jedem von ihnen breitgemacht. Sie hatten keine Kraft mehr für einen Neuanfang. Dass die Krieger des Rajas sie selbst im entlegenen Kangra aufgespürt hatten, sie aus ihrer neuen Heimat, aus dem Leben, das sie sich so mühevoll aufgebaut hatten, vertrieben hatten, hatte sie desillusioniert zurückgelassen. Wie eine graue, verängstigte Maus huschte Sitara im Schutz der Mauern die Gassen entlang, um Gemüse und Reis zu besorgen, ließ die Kinder kaum zum Spielen auf die Straße, und Winston brütete stundenlang mit leerem Blick vor sich hin. Sie lebten nur noch von einem Tag zum nächsten, gefangen in der Angst, erneut entdeckt zu werden.
    Mohan sorgte sich – sorgte sich um Sitara, die trotz ihrer fortschreitenden Schwangerschaft immer weniger zu werden schien, sorgte sich um die Kinder, deren Augen matt und traurig blickten, sorgte sich, weil bald alles Vermögen, das er bei ihrer Flucht aus dem Palast von Surya Mahal mitgenommen hatte, aufgebraucht sein würde, und die geschliffenen Steine, die sich darunter befanden, stießen bei den Juwelieren der Basare auf Misstrauen, erwiesen sich als unverkäuflich, bargen zudem das Risiko, eine zu deutliche Fährte zu ihrem Versteck zu legen. Noch hatte er Winston und Sitara gegenüber nichts davon erwähnt – noch hoffte er, dass Vishnu ihm einen Weg aufzeigen würde …
    Am Ufer des Yamuna strich eine kühle Brise durch die hohen Schilfrohre, und Mohan Tajids Glaubensbrüder tauchten an den ghats fröstelnd in das stahlblaue Wasser dieses Nebenflusses von Mutter Ganga, um sich von ihren Sünden reinzuwaschen. Der pujari , der Zeremonienmeister, kauerte im Schlamm und hantierte mit den kleinen Schüsselchen voller Zinnober, Sandelholz und Gips, um den Gläubigen nach dem rituellen Bad wieder das Kastenzeichen auf der Stirn anzubringen. Als er seinen Blick nach Osten, in Richtung der aufgehenden Sonne wandte, erstarrte er, und andere, die seinem Blick folgten, verfielen in stumme Furcht.
    Über der breiten Schotterstraße, die nach Norden führte, schwebte bewegungslos eine feine Staubwolke. Als sie näher kam, ein leises, vielstimmiges Donnern zu hören war, holte jedermann hörbar Luft. Zweitausend Reiter waren im Anmarsch, eine auseinander gezogene Kavalkade, unbeirrbar auf die Bridge of Boats zustrebend, die über Sandbänke und Flussarme hinweg das jenseitige Ufer mit dem Teil des Forts verband, in dem sich die privaten Gemächer Bahadur Shahs befanden. Die Hufe donnernd auf den Planken, überquerten die Pferde die Brücke, die links und rechts der Brücke vertäuten flachen Holzboote der Flussschiffer erzittern lassend, konzentriert auf die Stelle zwischen den roten Sandsteinmauern zuhaltend, an der all jene den Palast betraten, die eine persönliche Bitte an den König hatten, und ihre Rufe hallten von den Mauern wider.
    Es waren die sepoys der Garnison von Meerut, Hindus und Moslems, die am Tag zuvor fünfzig ihrer Offiziere, deren Frauen und Kinder ermordet, deren Bungalows in Brand gesteckt hatten und nun ihren rechtmäßigen König Bahadur Shah ersuchen wollten, mit ihnen zusammen den Briten die Herrschaft über Indien zu entreißen.
    Welche Ironie, dass es ausgerechnet die Garnison von Meerut sein sollte, vierzig Meilen nördlich von Delhi, bekannt für ihre hübschen Bungalows und blühenden Gärten, in der die

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