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Himmel über Darjeeling

Himmel über Darjeeling

Titel: Himmel über Darjeeling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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die Zähne bewaffnete Zivilisten über den unruhigen Schlaf ihrer Frauen und Kinder. Hitze, Fieber und Cholera eröffneten eine weitere Kriegsfront, und General Anson war einer der Ersten, die diesem Hinterhalt zum Opfer fielen, noch während des Marsches auf Delhi Ende Mai.
    Wie ein heftiger Erdstoß riss die Revolte einen Graben durch das Land. Zahllose Inder liefen begeistert auf die Seite der Rebellen über, während andere den Nutzen, den sie aus der britischen Herrschaft gezogen hatten, über ihren Nationalstolz stellten und die Sache der Briten verfochten, darunter die Sikhs und die Gurkhas, beides traditionelle Kriegervölker. Es gab Maharajas, die den Engländern dankbar waren und sich von ihrer Unterstützung derselben einen Vorteil erhofften; andere, die ihre Stunde der Rache und der Wiederergreifung ihrer früheren Macht gekommen sahen. Doch die Mehrheit der Millionen Indiens, Hindus und Moslems, Bauern und Handwerker, sprachen sie Hindustani oder Urdu oder welchen Dialekt auch immer, verharrten als geduckte Zuschauer, bang darauf wartend, auf welcher Seite der Macht das Pendel letztendlich zur Ruhe kommen würde.
    Mohan Tajid kämpfte seinen eigenen Kampf, gegen die Hitze, gegen Hunger und Durst, schließlich gegen die Zeit, die ihm und vor allem Ian unerbittlich davonrann und ihre Lebenskräfte mit sich nahm. Als der zu Tode erschöpfte Gaul schaumbedeckt unter ihnen zusammensackte, schulterte er den Jungen und taumelte weiter durch die Gluthitze, die die Ebenen Rajputanas buk und pulverisierte. Seine Lippen waren blasig, die Stimmbänder zu zähem Leder gegerbt, und so war es ein stummes Gebet, in dem er sein Leben und das Ians in Vishnus Hände legte, als er einen wankenden Schritt vor den anderen setzte, und noch einen, und noch einen. Der glühende Sand verbrannte seine bloßen Fußsohlen, und die Luft um ihn gloste, flirrte, waberte, schmerzte in seinen entzündeten, geschwollenen Augen. Eine Flutwelle rollte auf ihn zu, kam plötzlich zum Stehen, abwartend, ballte sich zu den Dächern und Mauern eines Palastes zusammen, die zu schwanken, sich gleich wieder auflösen zu wollen schienen. Aber sie blieben standhaft, schärften sich in der hitzeflimmernden Luft, wenn sie auch Stunde um Stunde nicht näher rückten. Verbissen schlurfte Mohan voran, wankend unter seiner Last, und in seinem schmerzenden Schädel hallten die unhörbaren Rufe wider, mit denen er darum bat, dass sich die abweisend geschlossenen Tore und Fensterläden öffnen möchten. Keuchend schleppte er sich vorwärts, das massive Nordtor unverrückbar im Blickfeld, mal so nahe, dass er die Hand danach ausstrecken wollte, dann wieder unerreichbar weit entfernt. Als seine Knie nachgaben, er auf den hartgebackenen Boden sank, spürte er den kühlen Hauch von Vogelschwingen auf seiner verbrannten Haut, und in der freudigen Gewissheit, dass Vishnu selbst es war, der seinen Adler Garuda zu ihrer Rettung ausgesandt hatte, verzogen sich seine schrundigen Lippen zu einem Lächeln, ehe die Schwärze der Bewusstlosigkeit über ihm zusammenschlug.

16
      U nentschlossen kreiste das Pendel über Indien, schwang hierhin, dann dorthin, zog Schleifen und Ellipsen, hielt einen Wimpernschlag lang inne, als es ebenso besonnenen wie entschlossenen Offizieren gelang, ihre indischen Soldaten zu entwaffnen oder sich deren Treue zu versichern, in Lahore, Agra, Kalkutta, und so blieben der Punjab und Bengalen weitestgehend ruhig. Doch wie ein Buschfeuer, das nicht vollständig erlischt, unter der verbrannten Erde weiterschwelt, war das Schlimmste noch längst nicht vorüber, wie leichtfertige Gemüter lauthals verkündet hatten. Die von Lord Canning verfasste und im Land verbreitete Proklamation, die Regierung würde sich keinesfalls in Religion oder Kastenbräuche ihrer Untertanen einmischen, verhallte ungehört, und es entzündeten sich Brandherde im Rohilkhand und Oudh, den Ganges hinab und vereinzelt bis nach Rajputana hinein, bis schließlich im Herzen des Subkontinentes ein Krieg aufflammte, der eine Fläche von einem Viertel der Größe Europas auflodern ließ, als sich die Inder gegen ihre Kolonialherren erhoben: in Mathura, Bharatpur, Gwalior, Jhansi, Allahabad, Saharanpur, Benares, Lucknow, Jodhpur. Und Bahadur Shah, zum neuen Mogulkaiser Indiens ausgerufen, dichtete frohlockend, im Bewusstsein dieser für ihn so glücklichen Fügung:
    Na Iran, ne kiya, ne Shah russe ne – Angrez ko tabah kiya Kartoosh ne.
    Sie eroberten Persien und stürzten den

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