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Himmel über Darjeeling

Himmel über Darjeeling

Titel: Himmel über Darjeeling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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Innenhof von Surya Mahal. Schwer und betäubend süß hing der Duft der Blüten in der Luft, mit denen Säulen und Baldachine geschmückt waren, Rosen, Jasmin, Ringelblumen, Tuberosen, durchsetzt mit Sandelholz und Patchouli. Sitar und tabla spielten eine beschwingte Melodie, und ein Sänger steuerte mit kehliger Stimme die dazugehörigen Verse bei, alte Lieder zum Ruhm legendärer Rajputenkrieger, Lobpreisungen holder Weiblichkeit. Zwei Tänzerinnen untermalten die Gesänge mit kunstvollen Gesten ihrer mit Henna bemalten Hände, schwungvollen Drehungen, verlockender Mimik ihrer geschminkten Gesichter und schnellen Schritten ihrer bloßen Füße. Bei jeder ihrer Bewegungen klirrten und klingelten ihre zahllosen, mit Glöckchen besetzten Fußkettchen, und die mit winzigen Spiegeln besetzten dünnen Stoffe auf ihrer schimmernden Haut, ihre Halsketten, Armreifen und ihr Nasenschmuck sandten das Licht der Lampen in Tausenden blitzender Fünkchen an den Nachthimmel. Mohan wandte sich halb um, um Ian eine scherzhafte Bemerkung zuzuwerfen, doch das Polster hinter ihm auf dem Podest der Fürstenfamilie war leer.
    Suchend blickte er sich um. In Grüppchen verteilt saßen Männer und Frauen auf den über den Boden verteilten Polstern, schwatzten, tranken, lachten, summten die Melodien mit, labten sich an den kleinen Köstlichkeiten, die herumgereicht wurden, doch er konnte Ian nirgendwo entdecken. Sein Blick blieb an einer der Säulen im hinteren Teil des Innenhofs hängen, und unwillkürlich musste er schmunzeln. An der Säule lehnte das Mädchen, dem Ian heute Nachmittag die Ringelblume überreicht hatte, in einem bunt gemusterten, spiegelbesetzten Sari. Ian, in bestickter Rajputenuniform mit Turban, hatte seinen Arm an der Säule abgestützt, spielte mit der freien Hand an dem Ende ihres Saris, das ihren Scheitel bedeckte, und flüsterte ihr lächelnd etwas zu. Sittsam wandte das Mädchen ihr Gesicht ab, aber ihr kokettes kleines Lächeln, die Art, wie ihre Augenlider flatterten, verrieten etwas anderes. Mohan griff zu seinem Glas, und als er gleich darauf wieder hinüberblickte, waren die beiden verschwunden.
    Zwei Tage später bog Mohan Tajid in den Säulengang ein, von dem aus man weit in die Ebene hinausblicken konnte. Ian lehnte an einer der Säulen, sah hinaus und zog an einer Zigarette, eine Angewohnheit, die er sich während seiner Abwesenheit zugelegt hatte – sehr zum Missfallen des Rajas, der dies als eine unsägliche Sitte der feringhi betrachtete. Er hatte ihn nicht kommen hören, schien völlig in Gedanken versunken zu sein, einen Ausdruck schmerzlicher Sehnsucht in seinen Zügen. Mohan trat auf ihn zu, und Ian fuhr aus seinen Gedanken auf, setzte rasch wieder das unbekümmerte Gesicht auf, das man in Gesellschaft von ihm gewohnt war.
    »Denkst du an sie ? Das Mädchen – wie heißt sie – Padmini?«
    Ian sah ihn verblüfft an, fast irritiert, schüttelte dann den Kopf.
    »Bewahre, nein.« Er sah wieder in die Wüste hinaus und zog erneut an seiner Zigarette. »Ich halte es mit den alten Weisen: Fürsten, Feuer, Lehrer und Frauen bringen nur Unglück, wenn man ihnen zu nahe kommt. Ist man aber zu weit weg«, ein kleines Grinsen huschte über sein Gesicht, »bringen sie keinen Nutzen. Einen gewissen Abstand einzuhalten erscheint mir klüger. – Frauen kommen und gehen, Mohan; sie war nicht die erste und sie wird auch nicht die letzte gewesen sein«, setzte er hart hinzu.
    Mohan hatte das sichere Gefühl, dass Ian etwas beschäftigte.
    »Was hast du vor, Ian?«, fragte er leise.
    Ian tat einen letzten Zug, drückte die Zigarette an der Säule aus, was einen hässlichen schwarzen Fleck auf dem hellen Marmor hinterließ, und warf den Stummel hinaus in die Wüste.
    »Nimm es mir nicht übel, Mohan, aber das kann ich dir im Moment noch nicht sagen.« Er sah seinen Onkel unverwandt an. »Ich werde es dir sagen, wenn die Zeit gekommen ist.«
    Mohan sah ihm nach, wie er davonstiefelte, die Hände in den Taschen seiner jodhpurs vergraben und fragte sich, was aus dem kleinen Jungen geworden war, der einst so unbeschwert auf den Wiesen des Kangratales gespielt hatte.

20
      S tille lag über dem Palast. Noch war die Trauerzeit nicht gänzlich vorüber, wenn auch die zwölf Tage mit den feierlichen Bräuchen vergangen waren, die dafür Sorge tragen sollten, dass dem Verstorbenen eine glückliche Wiedergeburt beschieden sein sollte. Zwölf Tage, in denen mit Jahrhunderte alten Gesten, Gesängen und Gebeten den Göttern

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