Himmel über Darjeeling
Ahnung von der Gluthitze, die in den Steppen und Wüsten herrscht, die sogar das Atmen zu einer Mühsal macht, nicht von den giftigen Insekten, Schlangen und Skorpionen, von denen es dort wimmelt, nicht von Cholera und Fieber. Die Friedhöfe von Kalkutta und Madras sind voll von Europäern, die starben, bevor sie ihr vierzigstes Lebensjahr erreichten. Bei allem Respekt, Mrs. Brown: Ich kenne Indien, ich bin dort geboren und habe beinahe mein ganzes Leben dort verbracht – Sie sind zu alt und nicht zäh genug.«
Margaret richtete sich auf, ihre Wangen hochrot vor Zorn und verletztem Stolz.
»Aber ich soll Helena und Jason getrost in dieses Land lassen, ja? Wissen Sie, was Sie da von mir verlangen?«
»Die Reise wird für beide so angenehm wie möglich sein. Von Bombay aus reisen wir in meinem eigenen Eisenbahnwagen nach Jaipur. Von dort aus machen wir zu Pferd einen Abstecher ins Innere Rajputanas, wo ich … Freunde besuchen möchte. Von Jaipur aus nehmen wir erneut die Eisenbahn Richtung Osten, über Agra und Allahabad bis Siliguri. Die letzte ist die einzige strapaziöse Etappe – da Darjeeling von Westen her keine direkte Anbindung an die Eisenbahnlinie hat und wir bis Anfang April zur Ernte dort sein müssen, wechseln wir wieder auf Pferde um. Mohan Tajid wird sich ganz um Jasons Wohlergehen kümmern. Sie kennen Mohan, und ich versichere Ihnen, dass niemand das Land so gut kennt wie er. Nicht einmal ich …«, fügte er mit einem leisen Lächeln hinzu.
Er runzelte die Stirn und ergriff ein Schreiben, das zuoberst auf einem der dünnen Stapel lag.
»Hier habe ich übrigens die Bestätigung des Rektors der St. Paul’s School in Darjeeling über die Anmeldung Jasons zum nächsten Trimester. St. Paul’s hat den Ruf, eine Erziehung nach dem Modell der besten englischen Privatschulen anzubieten. Ich halte es für angebracht, dass er zumindest in der ersten Zeit in der Schule wohnt und nur am Wochenende zu uns auf die Plantage kommt. So findet er sicher schneller Anschluss und kann sich den langen Weg jeden Tag sparen.«
»Und Helena – was ist mit Helena? Sie ist eine Frau, und – «
Ian legte den Kopf in den Nacken und lachte. »Ich vergaß – das schwache Geschlecht !« Er sah sie amüsiert an. »Sie werden mir doch zweifellos Recht geben, dass dies auf keine Frau weniger zutrifft als auf Helena.« Plötzlich wurde er wieder ernst. »Ein Löwe erkennt eine Löwin auf den ersten Blick. Um sie brauchen Sie sich wirklich keine Sorgen zu machen.« Er sah sie unverwandt an. »Sie ist bei mir in guten Händen, glauben Sie mir.«
Seine Stimme hatte einen warmen Unterton darin, den Margaret bei ihm noch nie gehört, nicht einmal vermutet hatte und den sie nicht einzuordnen vermochte, der sie jedoch dazu brachte, ihm zu glauben. Und gegen ihren Willen überließ sie sich dem Gefühl unendlicher und zugleich beschämender Erleichterung.
» Niemals !«
»Helena, bitte, er hat bestimmt, dass du das hier – «
»Nein und nochmals nein! Ich bin noch in Trauer – gewiss werde ich nicht dieses – dieses – «
»Störe ich?« Lässig lehnte Ian im Rahmen der Tür und sah amüsiert von Margaret zu Helena, die sich diesen hitzigen Wortwechsel geliefert hatten, der bis auf den Korridor hinaus zu hören war. Jane, die sich stumm in eine Ecke gedrückt hatte, versank in einen tiefen Knicks; Margarets Miene verriet Bestürzung und Verzweiflung, während Helenas Augen Funken sprühten. Ihr Gesicht war vor Zorn hochrot. In ihrer Wut vergaß sie jegliche Zurückhaltung und stürmte auf Ian zu, in einem Wirbel aus den feinen Volants ihres neuen Morgenrocks in kräftigen Blau- und Türkistönen. Ihr offenes, noch feuchtes Haar wehte hinter ihr her.
»Du Teufel! Du kannst unmöglich von mir verlangen, diesen Ausbund an Sündhaftigkeit anzuziehen! Es ist einfach grauenhaft! Und es schert dich ganz offensichtlich nicht, dass ich mich noch in Trauer befinde, du eiskalter, hinterhältiger – «
»Jane, Mrs. Brown – lassen Sie uns bitte einen Augenblick allein.« Ians Stimme schnitt scharf in Helenas Redestrom, wirkte wie eine Mauer, die ihn ausbremste.
Kaum hatte sich die Tür hinter den beiden Frauen geschlossen, packte Ian sie hart am Arm, ehe sie wieder Luft geholt hatte.
»Ich dulde es nicht, dass du vor den Dienstboten solche Reden mit mir führst! Wenn wir alleine sind, kannst du mich alle Schimpfnamen der Welt heißen, aber solange das Personal zugegen ist, hast du dich zusammenzunehmen!«
»Lass mich los«,
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