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Himmel über Darjeeling

Himmel über Darjeeling

Titel: Himmel über Darjeeling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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zu Dank verpflichtet sind. Und sei es nur, weil die Hälfte der Seide dort unten aus Ihren Spinnereien und Webereien stammt. Von den Geschmeiden, deren Juwelen ihren Schliff in Ihren Werkstätten erhalten haben, einmal nicht zu reden!«
    »Jetzt sind Sie derjenige, der den Einfluss meinerseits überschätzt«, lachte Richard Carter mit einer abwehrenden Handbewegung.
    Lord William nahm einen tiefen Schluck von seinem Scotch und sah nachdenklich auf das bunte Treiben hinab.
    »Die Zeiten ändern sich, Richard. Natürlich sehen die Familien des Adels nach wie vor auf euch Geldleute hinab, vor allem, wenn sie wie Sie aus Amerika kommen. Aber hinter den altehrwürdigen Titeln steht nicht mehr allzu viel Vermögen. Tradition ist gut und schön, aber sie muss auch bezahlt werden. Es gibt wohl kaum mehr eine Familie, die sich eine reiche Erbin entgehen lassen würde. Oder einen gut situierten Geschäftsmann wie Sie …« Belustigt, aber auch neugierig sah er Richard an. »Oder gibt es inzwischen eine Anwärterin auf den Titel einer Mrs. Richard Carter?«
    Richard schüttelte den Kopf und starrte in sein Glas. »Bislang noch nicht, nein.«
    Ohne es zu wissen, hatte sein Gesprächspartner einen empfindlichen Punkt getroffen. Es mangelte ihm nicht an sozialen Kontakten, weder hier in London noch in New York oder San Francisco. Sein Terminkalender war übervoll von Einladungen zu Abendgesellschaften, Ausritten und Pferderennen, Theater- oder Konzertbesuchen, informellen Abendessen bei Freunden und Kunden, doch er hatte begonnen, sich einsam zu fühlen. All die Jahre waren seine Sinne und sein Verstand davon ausgefüllt gewesen, alles über Rohstoffe zu lernen, über die neuesten Techniken, diese zu verarbeiten, von Geschäftsverhandlungen, dem Aufspüren günstiger Gelegenheiten, neuer Märkte und lukrativer Anlagemöglichkeiten, und er besaß darin eine solche Geschicklichkeit, dass selbst die Depression von 1873 seinen Geschäften keinen nennenswerten Schaden zugefügt hatte. Doch etwas fehlte. Immer deutlicher spürte er eine Leere in seinem Leben, wenn er abends in seinem Stadthaus am Lafayette Place vor dem Kamin saß, ein Glas seines eigenen kalifornischen Weines neben sich, ein gutes Buch in der Hand oder die New York Times, wenn er in einer der schon etwas schäbigen roten und goldenen Logen der Academy of Music eine Opernaufführung genoss, wenn er zu Pferd über die braunen Hügel hinter seinem großzügigen Besitz an der Westküste ritt, von denen aus er einen leuchtend blauen Streifen des Meeres sehen konnte.
    An jungen Ladys aus guter Familie, die ihm über den Rand ihres Fächers hinweg ebenso schüchterne wie einladende Blicke zuwarfen, an Matronen, die ihm ihre Töchter, Nichten und Enkelinnen beiläufig oder voller Stolz vorstellten, sie ihm manchmal gar buchstäblich entgegenschubsten, mangelte es beiderseits des Atlantiks nicht, noch war Richard Carter aus Stein. Doch zu mehr als flüchtigen Begegnungen, heftigen Flirts oder kurzen Affären war es nie gekommen. Er wollte mehr als nur ein schönes Gesicht, eine reizvolle Figur, einen tugendhaften Charakter – er war auf der Suche nach einer Gefährtin, die seine Sinne zu betören, sein Herz zu bewegen und seinen Verstand zu fesseln vermochte, alles zugleich.
    Sein Blick wanderte unwillkürlich wieder hinab, zu jenem einen Farbtupfer im Gemenge, und derjenige Lord Williams folgte.
    »Jemand Bestimmtes, der Ihr Interesse geweckt hat?«
    Richard Carter zögerte kurz. »Dort unten, an der Tür zur Orangerie. Die junge Dame in Rot.«
    »Das kann unmöglich Ihr Ernst sein, Richard!«
    »Weshalb nicht?« Er blickte erstaunt.
    Lord William schüttelte den Kopf. »Sagen Sie nur, Ihnen ist das Hauptgesprächsthema heute Abend entgangen. Die junge Lady ist die Sensation dieser Ballnacht, diejenige, die es geschafft hat, sich erst kürzlich den ewigen Junggesellen Ian Neville zu angeln. Die Gentlemen heute Abend beneiden ihn, und die Ladys hassen sie dafür.«
    » Neville ?« Richard Carter runzelte die Stirn. »Sagt mir nichts.«
    »Ach nein, Sie handeln ja nicht mit Tee … – Aus patriotischen Gründen?«
    Lord William spielte damit auf die hundert Jahre zurückliegende legendäre Boston Tea Party an. Nach der Unterzeichnung des Vertrags von Paris 1763, der den siebenjährigen Krieg Englands gegen Frankreich beendete, waren die Kassen des Königreiches leer. Der Stamp Act von 1765 erlegte Waren, die von England in die Kolonien in Amerika geliefert wurden, hohe

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