Himmel über Darjeeling
der unvergleichliche Schimmer überhauchten ihre Haut wie mit Gold. Ein eng geschnürtes, spitz zulaufendes Mieder ließ ihre Taille zerbrechlich erscheinen; sein tiefer, herzförmiger Ausschnitt hob und betonte zugleich den Ansatz ihrer Brüste. Eine Andeutung von Ärmeln ließ ihre Schultern frei. Der bodenlange Rock mit der kleinen Schleppe fiel glatt von ihren Hüften herab, und die Stoffbahnen, die vorne quer gerafft waren, liefen auf der Rückseite in eine aufgebauschte Drapierung aus, die an eine eben erblühende Rose erinnerte. Ein Bukett echter roter Rosen schmückte am Hinterkopf auch ihr Haar, das locker zurückgenommen war und, durch langes Bürsten und Pomade geschmeidig und glänzend gemacht, in einer Flut von Locken den Rücken hinabrieselte. Schwer lag das massive Collier mit den Rubinen um ihren Hals, das Ian ihr wortlos angelegt hatte, als er sie in ihrem Zimmer abholte – kühl, gleichgültig, ohne einen Kommentar, als sei sie nicht mehr als ein lebloses Accessoire.
Ian … Helena schloss kurz die Augen und biss die Zähne zusammen. Scham durchflutete sie, wenn sie an die Ohrfeige dachte, wie auch an das, was dieser vorausgegangen war. Sie hatte Margaret und Jane erzählt, sie sei gestolpert und unglücklich gefallen, obwohl sie in ihren Blicken lesen konnte, dass sie ihr kein Wort glaubten – die Abdrücke von Ians Fingern waren noch zu deutlich auf ihrer Wange zu sehen gewesen. Die Eisbeutel, die Jane rasch aus der Küche geholt hatte, hatten ihre Wirkung getan – nur noch eine leichte Rötung in ihrem Gesicht und ein leichter Glanz in ihren unnatürlich geweiteten Augen zeugten von der hässlichen Szene, doch ließen sich diese auch als Vorfreude auf den Ball deuten.
Jedoch konnte kein Gefühl weiter von dem entfernt sein, was sie tatsächlich empfand. Ihre Hände in den ellbogenlangen Handschuhen aus der gleichen roten Seide waren eiskalt, und dennoch hatte sie das Gefühl, sie seien feucht vor Angst. Seit sie an Ians Arm ihren Fuß über die Schwelle des Hauses der Chestertons gesetzt hatte, starrten Dutzende von Augenpaaren sie an; selbst jetzt, wo sie hier abseits des Treibens stand, traf sie hin und wieder ein unverhohlen neugieriger Blick. Unzähligen Gentlemen und Ladys war sie vorgestellt worden, deren Höflichkeiten sie mit einem in den Mundwinkeln festgefrorenen Lächeln begegnet war, ohne einen von ihnen genauer wahrzunehmen – bis auf eine Dame, die Ian ihr als Lady Irene Fitzwilliam vorgestellt hatte. In einer duftigen roséfarbenen Wolke, mit schwarzen Spitzen besetzt und von Brillanten funkelnd, war sie mit einem Tross anderer eleganter Ladys auf sie zugeschwebt, hatte Ian girrend mit Koketterien überschüttet und Helena mit ihren dunklen Augen abschätzig gemustert, ehe sie das Wort an sie richtete.
»Das ist also das kleine Juwel, das Sie uns bislang vorenthalten haben, Ian. Nun, Mrs. Neville , wie gefällt es Ihnen bislang in unserer großartigen Londoner Gesellschaft?«
»Ich – « Helena war ins Stottern geraten, um eine Antwort verlegen. Hilfesuchend sah sie zu Ian, der seinen Blick aber auf einen entfernten Punkt in der Menge konzentrierte. »Ich habe bislang noch nicht allzu viel davon gesehen, fürchte ich.« Sie spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss, kam sich linkisch und dumm vor.
»Tatsächlich?« Der Fächer aus schwarzen Straußenfedern klappte ungeduldig auf und zu. »Ian, Sie Schlimmer, haben Sie Ihre reizende kleine Frau aus einem bestimmten Grund in Ihrem eleganten Heim verborgen gehalten? Für Sie muss es aber auch eine zu große Umstellung sein, aus Ihrem entlegenen – wo war das noch?« Fragend neigte sie ihr herzförmiges Gesicht, hinreißend blass unter den aufgesteckten dunklen Locken, in denen zahllose Brillantsplitter funkelten, von schwarzen Federn gekrönt.
»Cornwall«, murmelte Helena, den Blick auf den Saum ihres Kleides gesenkt.
»Richtig, Cornwall … hatten Sie nicht etwas von einem Bauernhof erzählt, Ian? Wie pittoresk!«
Ihr Gefolge brach in beifälliges Kichern aus.
Helenas Röte vertiefte sich, doch ehe sie kontern konnte, schlug Lady Irene Ian spielerisch mit dem zusammengeklappten Fächer auf den Arm.
»Hören Sie nur, sie spielen unseren Walzer – den dürfen Sie mir nicht verweigern!« Schon hatte sie sich bei ihm untergehakt und dirigierte ihn in Richtung der Tanzfläche. »Sie gestatten doch, Mrs. Neville – schließlich haben Sie ihn ja für den Rest Ihres Lebens«, rief sie Helena im Gehen munter über die
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