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Himmel über Darjeeling

Himmel über Darjeeling

Titel: Himmel über Darjeeling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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Göttin Durga. Sie personifiziert Tod und Zerstörung. Die Stufen, die im Südosten zum Ganges hinunterführen, die g hats , wurden aufgrund der häufigen Choleraepidemien nach ihr Kali Ghats genannt. Daher leitet sich der Name Kalkutta ab.«
    Helena konnte ein Schaudern nicht unterdrücken und kuschelte sich tiefer in ihren Mantel.
    »Wie schrecklich, ein Schiff so zu benennen. Es klingt nach einem schlechten Omen«, murmelte sie in den Wind hinein.
    »Die Hindus denken anders. Am Ende werden schließlich alle Dinge vom großen Zerstörer verschlungen, wie es in einer ihrer heiligen Schriften heißt. Tod und Zerstörung sind ein untrennbarer Teil des Lebens. Wo es keine Zerstörung gibt, kann es auch kein neues Leben geben. Den Tod zu leugnen hieße die Wirklichkeit nicht zu erkennen. Gerade du müsstest das doch begreifen – das Schicksal hat dich nach jedem Todesfall ein neues Leben beginnen lassen, damals in Cornwall und jetzt hier an meiner Seite.«
    »Ja«, antwortete Helena bitter, »gegen meinen Willen.«
    »Das ist das Wesen des Karmas – man kann nur mit ihm handeln, nicht dagegen.«
    Heiße Tränen stiegen Helena in die Augen, als sie an ihre Kindheit in Griechenland dachte. Sie sah sich selbst als kleines Mädchen lachend und vor Freude quietschend einen sonnenbeschienenen Hügel hinabrennen, vor dem Haus auf der warmen Erde hocken und mit den Grillen spielen, die sie sich als Haustiere hielt, wie sie es sich von den Kindern unten in der Stadt abgeschaut hatte. Die Tage waren leicht und unbeschwert, erfüllt von der Liebe, die durch jeden Winkel des Hauses zog, und der Wärme, die sie auf ihrer Haut wie in ihrem Herzen spürte. Und dann nur noch Kälte, eisige Kälte, innerlich wie äußerlich, als Celia von ihnen ging. Alles, was an Schicksalsschlägen danach gekommen war, schien dumpf und blass, eine reine Folge dieses ersten Verlustes, den nichts wieder hatte gutmachen können. Und dass drei Jahre, nachdem sie die Insel verlassen hatten, ein Erdbeben große Teile davon verwüstet, Straßen und Gebäude in Schutt und Staub gelegt hatte, war ihr wie ein Zeichen erschienen, dass jene Zeit ihres Lebens unwiederbringlich verloren war.
    »Glaub mir, ich weiß, was es heißt, Heimat und Familie zu verlieren.« Ian schien ihre Gedanken erraten zu haben. Sie sah ihn fragend an.
    »Ich bin in den Bergen geboren und aufgewachsen, in einem einsamen, versteckten Tal hoch oben im Himalaya. Manche sagen, es sei das schönste Tal der Welt. Wir mussten es verlassen, als ich zwölf war, begaben uns wochenlang auf eine Flucht, die meiner Familie letztlich den Tod brachte.«
    »Das – das wusste ich nicht.« Helenas Wangen glühten vor Scham.
    »Du hast mich auch nie danach gefragt.« Mit einer lässigen Handbewegung schnippte Ian den Zigarettenstummel in die aufschäumenden Wellen und löste sich von der Reling. Ohne ein weiteres Wort, einen einzigen Blick, verschwand er unter Deck und ließ Helena einmal mehr verwirrt zurück.
    Das Wetter wurde wärmer, je weiter die Kalika sie südwärts durch das Meer trug. Zuerst genoss Helena die Sonne noch an Deck in ihren Mantel gehüllt, bis sie dazu übergehen konnte, die leichten Kleider in hellen Farben zu tragen, die Jane aus den Kisten hervorholte, von den gefragtesten Schneidern der Savile Row eines schöner und kunstfertiger gearbeitet als das andere. Anfang Dezember erreichten sie Ägypten. An die Reling gelehnt konnte sie das bunte Treiben im Hafen von Port Said beobachten, staunend über den Farbenreichtum an Kleidung und Menschen und Waren, das babylonische Gewirr fremdländischer Laute, die sie nicht einordnen konnte. Sie wäre zu gerne von Bord gegangen, aber Ian trieb die Besatzung zu fieberhafter Eile an, das Schiff mit notwendigen Gütern zu beladen, als könnte er nicht auch nur eine Stunde ihrer Zeit opfern. Fast gemächlich schipperte die Kalika dann durch die Enge des Suezkanals. Sieben Jahre zuvor als Wunderwerk der modernen Ingenieurskunst eröffnet, verkürzte der Kanal den Seeweg nach Indien um gut die Hälfte auf knapp drei Wochen. An Fellachen, die ihre mageren Kühe zum Brunnen trieben, und an öden, sandigen Flecken und Palmenhainen vorbei zog das Schiff durch das langgestreckte Rote Meer, dessen Name heilig klang in den Ohren der Christenheit, an felsigen, sandigen Landstrichen in ausgeblichenen Erdtönen vorüber, ehe sie Kurs auf die weite dunkelblaue Fläche des Indischen Ozeans nahmen, scheinbar unbegrenzt von Küsten und Ufern. Eine

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