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Himmel über Darjeeling

Himmel über Darjeeling

Titel: Himmel über Darjeeling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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ihn an jene Momente, wenn einer seiner Agenten einen Beutel mit roh aus dem Fels geschlagenen Steinen vor ihm ausschüttete, er einen nach dem anderen in die Hand nahm und förmlich sah, mehr noch spürte, welcher nur zersplittert als Besatz für Ballroben taugte und welcher mit dem richtigen Schliff als kostbares Juwel in Gold gefasst sein Feuer am Hals einer Lady versprühen würde. Er wollte so viel mehr von ihr wissen: woher sie kam, was sie gesehen und erlebt hatte, wovon sie träumte, was sie fühlte, was sie dachte, doch er kam nicht mehr dazu, sie danach zu fragen.
    »Wie ich sehe, hast du in meiner Abwesenheit schnell Anschluss gefunden.« Ians eisige Stimme ließ beide herumfahren.
    Die beiden Männer musterten sich in einem stummen Kräftemessen. Eine greifbare Spannung lag in der Luft, jener weißen Stille vor einem Gewitter ähnlich, ehe der erste Donnerschlag sie zerreißt.
    Schließlich lächelte Richard.
    »Es war mir ein Vergnügen, mich mit Ihrer Gattin zu unterhalten. Ein Vergnügen, das ich zu gerne bei nächster Gelegenheit wiederholen möchte. Richard Carter«, stellte er sich mit einer Verbeugung vor, seine Rechte in einer entwaffnenden Geste Ian entgegengestreckt.
    »Ich glaube kaum, dass das möglich sein wird.« Ians Hand schloss sich so hart um Helenas Arm, dass ihr ein kleiner Schmerzenslaut entfuhr. »Wir reisen morgen früh ab.«
    Er verabschiedete sich mit einer so knappen Verbeugung, dass es beinahe einer Beleidigung gleichkam, und schob Helena durch den Ballsaal hindurch in Richtung der Halle.
    Richard sah ihnen nach, lange noch, nachdem die Masse der Gäste sie verschluckt hatte, als müsste er die vergangene Stunde, seit er sie zum ersten Mal von der Galerie aus gesehen hatte, Revue passieren lassen, sich zu einem Entschluss durchringen.
    »Auf Wiedersehen in Darjeeling, schöne Helena«, murmelte er schließlich und leerte sein Glas in einem Zug.

7
      P feilschnell schoss der schlanke Körper des Schiffs durch das dunkle Blau des Mittelmeeres. Die Gischt des winterzerfurchten Wassers sprühte hoch an der Reling auf, vermischte sich mit dem scharfen Wind, der dennoch eine süße Leichtigkeit in sich trug, wie ein Gruß der von einem milderen Klima gesegneten Küste. Helena schmiegte sich tiefer in den langen Mantel, der trotz seines feinen, leichten Stoffes – Garn aus dem Haar der Kaschmirziege, wie Mohan Tajid ihr erklärt hatte – wunderbar wärmte, ließ den breiten Pelzbesatz der Kapuze ihre Wangen schmeicheln und konnte doch nicht genug bekommen von der frischen, salzhaltigen Luft. Tief sog sie sie ein, bis es ihr schwindelte, aber es tat so wohl, nach den Tagen, die sie unter Deck verbracht hatte, Jason den Kopf haltend, während er sich, krank vom Rollen und Schlingern des Schiffs, wieder und wieder erbrach, ihm mit feuchten Tüchern über die glühende und doch von kaltem Schweiß nasse Stirn wischte, neben ihm wachte, wenn er endlich in einen unruhigen Schlaf fiel, ehe die Übelkeit ihn wieder daraus riss. Tag und Nacht hatten keinen Unterschied gemacht, und viel zu kurz waren die Stunden, in denen sie, von Jane abgelöst, in einen erschöpften Schlaf fiel, ehe Jasons Weinen und sein Rufen nach ihr sie wieder abrupt daraus weckten. Müde war sie, aber es war eine wohltuende Mattigkeit, die sie betäubte und dem Abschiedsschmerz bislang keinen Raum gelassen hatte, und doch fühlte sie sich jetzt ungleich lebendiger, als sie es in jenem fremden Haus getan hatte. Jede Welle, die den schlanken Leib des Schiffes hob und gleich darauf wieder in das ihr nachfolgende Tal sacken ließ, trug sie weiter fort von England, ihrem alten Leben und von Marge.
    Marge … Unwillkürlich traten ihr Tränen in die Augen, brannten in der kalten Seeluft. Stumm und verloren war sie, noch in dem so ungeliebten Ballkleid, in der Halle gestanden, wie im Auge eines Wirbelsturms, den Ian entfesselte, als er nach ihrer Rückkehr in der Nacht sämtliche Dienstboten des Hauses aus ihrer Nachtruhe riss und packen ließ. Kein einziges Wort hatte er an sie gerichtet, als existierte sie nicht, und doch erdrückte sie das Gefühl, dass sie allein Schuld trug an diesem hektischen Aufbruch, der einmal mehr einer Flucht ähnelte. Wovor? Was hatte sie Unrechtes getan?
    Der Tag war noch nicht angebrochen, als zwei Wagen sie und die unzähligen Kisten in den Hafen brachten, das Schlagen der Hufe auf dem Pflaster unerträglich laut zurückgeworfen von den schlafenden Mauern der Häuser. Selbst der Kai des Hafens

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