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Himmel über Darjeeling

Himmel über Darjeeling

Titel: Himmel über Darjeeling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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lag dunkel und verlassen da, die Silhouetten der Schiffe kaum zu unterscheiden von der Schwärze der Nacht, über der der wattige Nebel der frühen Morgenstunden stand. Nur ein Schiff war hell erleuchtet, von eiliger Betriebsamkeit belebt. Wie ein gut geöltes Uhrwerk liefen die Männer hin und her, riefen sich knappe Befehle und deren Bestätigung zu; dann begannen die Maschinen zu zischen und zu stampfen, stießen durch die hohen Schornsteine ihren Dampf aus, dicker noch als der Londoner Nebel, versetzten den Leib des Schiffs in ungeduldige Vibration. Jason, noch schlafend, wie er von Mohan Tajid getragen wurde, Marges klamme Hand in der ihren, eine kurze, heftige Umarmung, Marges geflüsterte Worte, Gott segne dich, mein Kind , halb von ungeweinten Tränen erstickt, ehe eine stahlharte Hand Helena von hinten am Arm packte und förmlich die Gangway emporzerrte, sie selbst zu erstarrt, um irgendeine Regung aufkommen zu lassen. Und schon entfernte sich der Kai, und Margarets dunkle Gestalt, ein kleiner werdender Schattenriss in den Laternen der beiden Wagen, löste sich schließlich gänzlich in der Dunkelheit auf.
    Marge, die ihr Leben von Geburt an begleitete, sodass Helena als kleines Mädchen geglaubt hatte, zwei Mütter zu haben, die die entsetzliche Leere nach Celias Tod ausfüllte, zupackend und tröstend, nie ein Wort der Klage verlauten ließ, obwohl sie als Bedienstete im vornehmen Haus der Chadwicks Besseres gewohnt war, als Wäsche von Hand im eiskalten Wasser zu waschen und jeden Penny für die einfachsten Dinge des Lebens zweimal umzudrehen. Meile um Meile des Wassers unter dem Bug und jeder Atemzug entfernten Helena weiter von ihr. Ich weiß nicht, ob ich sie jemals wiedersehen werde … Der Schmerz des plötzlichen Abschieds, die Unwiderruflichkeit der Trennung trafen Helena wie ein Schlag in den Magen. Sie fühlte sich klein und verloren, wie ein hilfloses Spielzeug der Wellen unter ihr, und ungehindert rannen die Tränen ihre Wangen hinab.
    »Hier.« Ian stand plötzlich neben ihr und hielt ihr ein akkurat gefaltetes weißes Taschentuch hin, seine verschlungenen Initialen mit gleichfarbigem Seidengarn eingestickt. Helena kämpfte eine Sekunde lang mit sich, erinnerte diese Geste von ihm sie doch an jene erste Begegnung an den Klippen, die so unerwartete wie weitreichende Konsequenzen gehabt hatte. Und doch war sie in diesem Moment dankbar dafür und schämte sich ihrer Tränen nicht, denn zum ersten Mal empfand sie in seiner Gegenwart weder verstörende Unruhe noch Unwillen, sondern Trost und das Gefühl, nicht vollkommen allein zu sein. Ian wirkte gelöst, wie von einer aggressiven Anspannung befreit, und es verwirrte sie, dass seine Gegenwart ihr so angenehm war.
    »Geht es Jason besser?«
    Helena wischte über ihre Wangen und putzte sich geräuschvoll die Nase, ehe sie nickte.
    »Er schläft tief und fest.«
    »Gut. Sehen wir zu, dass wir ihn in den nächsten Tagen wieder aufgepäppelt bekommen.« Er sah sie prüfend an. »Dich auch – du bist ohnehin viel zu dünn.«
    Sie wusste darauf nichts zu erwidern und wandte verlegen den Blick ab. Er lehnte sich mit dem Rücken an die Reling und zündete sich eine Zigarette an, die Flamme des Streichholzes mit der hohlen Hand gegen den scharfen Wind abgeschirmt, ehe er wieder das Wort ergriff.
    »Dort drüben«, er wies mit einem kurzen Nicken in Richtung der vorbeiziehenden Küste, nur eine schmale, verwaschene Linie in Terrakottafarben und Olivtönen, »liegt Griechenland.«
    Helena kniff die Augen leicht zusammen, als könnte sie so das weite entfernte, felsige Ufer näher heranholen.
    »Schon?«, fragte sie leise und spürte ein sehnsuchtsvolles Ziehen in der Magengegend.
    Stolz, fast zärtlich fuhr Ian mit seiner Hand über die Reling, die schwarz war wie die Außenhaut aus Metall, das Deck und die Aufbauten. Schwarz war die vorherrschende Farbe des Schiffs, außen wie innen, wo sämtliche Räume mit dunkelstem Holz getäfelt waren, die Möbel nur einen leicht rötlichen Schimmer hatten, der sich in den kräftigen Tönen der dicken Polster und Teppiche – Scharlach, Purpur, Koralle, leuchtendes Orange und warmes Gelb, mit aufwändigen Mustern und farbigen Perlen bestickt – wiederfand.
    »Die Kalika ist das schnellste Dampfschiff, das in den letzten zwei Jahren gebaut wurde. Ich verabscheue jegliche Zeitverschwendung.«
    » Kalika ?«
    »Kalika, meist Kali genannt, bedeutet die Schwarze – sie ist die Gemahlin Shivas, ein Aspekt der Großen

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