Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Himmel über Darjeeling

Himmel über Darjeeling

Titel: Himmel über Darjeeling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
Vom Netzwerk:
sein – ob es Ian auch so sah? Sie schüttelte über sich selbst den Kopf, reckte trotzig das Kinn vor und löste sich mit einem Ruck von ihrem so unbefriedigenden Spiegelbild.
    Ihr Herz klopfte heftig, als sie die Tür zum Salon öffnete und Ian am gedeckten Frühstückstisch sitzen sah, eine Tasse dampfenden Tees vor sich, den Blick in die Zeitung gesenkt.
    »Guten Morgen«, begrüßte sie ihn freudig, als sie sich setzte.
    »Guten Morgen«, antwortete er frostig, ohne aufzublicken.
    Shushila hatte bereits eine Tasse heiße Schokolade an ihren Platz gestellt und sich dann wieder dezent zurückgezogen, wie es ihre Art war. Helena griff nach einem Brötchen und lächelte Ian an, bemüht, einen leichten Ton anzuschlagen. »Wo sind Mohan und Jason?«
    »Vorne beim Lokführer«, kam die einsilbige Erwiderung.
    »Was war denn gestern Nacht?«, fragte sie, um das Gespräch in Gang zu bringen.
    Raschelnd blätterte Ian eine Seite um, ohne den Blick zu heben. »Ich weiß nicht, wovon du sprichst.«
    Ungläubig sah Helena ihn über die Butter hinweg an. »Der Lärm, unser abrupter Halt, die Schüsse …«
    »Das musst du geträumt haben.«
    Klirrend ließ Helena das Messer auf ihren Teller fallen. »Das habe ich nicht! Ich weiß genau, was ich gehört habe!«
    Ian warf ihr einen kurzen Blick unter zusammengezogenen Brauen zu, ehe er sich wieder in seine Lektüre vertiefte. »Lass bitte nicht deine schlechte Laune an unserem Geschirr aus.«
    »Ich habe keine – Himmel, Ian, ich bin deine Frau, ich habe ein Recht darauf, zu wissen, was da draußen passiert ist!«
    Energisch faltete Ian die Zeitung zusammen, schleuderte sie hinter sich auf die Chaiselongue.
    »Vor den englischen Gesetzen bist du meine Frau, ja – aber ich kann mich nicht daran erinnern, dass diese Ehe bislang auch vollzogen wurde. Aber vielleicht war es ja auch nur nicht besonders erinnernswert.«
    Helena erstarrte, und ihr schoss das Blut ins Gesicht. Tränen füllten ihre Augen, und sie senkte den Kopf, damit er sie nicht bemerkte. Unter ihren nassen Lidern sah sie, wie er seine Tasse austrank und aufstand. Das Zuschlagen der Tür ließ sie zusammenzucken, und die Tränen, die ungehemmt flossen, versalzten die erkaltende Schokolade.

10
      J aipur, erst 1727 von Maharaja Jai Singh II. als Hauptstadt eines irgendwann in ferner Zukunft nicht mehr in einzelne Fürstentümer geteilten, sondern vereinten Reiches nach seinen Plänen erbaut, war das Tor zu den Weiten Rajputanas von Osten her . Die verschachtelten, sich aufeinander türmenden Häuserfassaden über den schnurgeraden, schachbrettartig angeordneten und belebten Straßen strahlten in intensivem Rosa – die Farbe des Willkommens der Rajputen – und waren dieses Jahr erst vom derzeitigen Maharaja Man Singh für den Besuch des Prinzen of Wales komplett neu gestrichen worden, wie Mohan Tajid erklärte, als Helena durch den Spalt der gelbseidenen Vorhänge des Wagens einige Blicke auf die Stadt erhaschen konnte, ehe Ian sie energisch wieder zuzog.
    »Hier gilt das Gesetz des purdah «, erklärte Mohan Tajid entschuldigend auf Helenas empörten Blick hin, wohl auch, weil er ihr ansah, dass ihr eine scharfe Erwiderung auf der Zunge lag, »die strikte Trennung von Männern und Frauen. Frauen – zumindest nicht die ehrbaren und vermögenden – sollten nicht in der Öffentlichkeit gesehen werden. Das gilt leider auch für Memsahibs.« Er verneigte sich mit einem Lächeln in ihre Richtung.
    Helena fixierte wütend Ian, der jedoch starr an ihr vorbeisah. Die Kutsche bog um die Ecke, einmal, zweimal, fuhr eine längere Strecke geradeaus, wieder eine Biegung, und noch eine. Sie hielt – Helena hörte den Kutscher mit zwei Männern sprechen, dann ruckte der Wagen wieder an, rollte vorsichtig über glatten Boden, beschrieb einen leichten Halbkreis und kam sanft zum Stehen. Die Tür wurde von außen aufgerissen; blendendes Sonnenlicht quoll herein, und ein Inder mit rotem Turban, weißen Reithosen und langer schwarzer Jacke verneigte sich so tief, dass seine Stirn beinahe den Boden berührte.
    » Khushámdi! «, murmelte er ehrerbietig, ohne den Blick auch nur einen Wimpernschlag lang von den Spitzen seiner Stiefel zu erheben.
    Mohan Tajid half Helena aus dem Wagen, und einmal mehr verfluchte sie die engen Kleider, in deren langen Säumen sie sich ständig mit den Absätzen ihrer Schuhe zu verfangen drohte. Neugierig sah sie sich um. Sie standen in einem großzügigen Innenhof, dessen Boden mit glatten,

Weitere Kostenlose Bücher