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Himmel über Darjeeling

Himmel über Darjeeling

Titel: Himmel über Darjeeling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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Teppiche in bunten Mustern, Seidenstoffe, silberne Leuchter, prächtig und dennoch luftig – in einen großen Raum, dessen Boden mit farbigen Seidenkissen ausgelegt war. Eine Inderin – sie mochte wohl hoch in den Fünfzigern sein –, ihre füllige Figur in einen orangeroten Sari mit breiter Goldborte gehüllt, sah sie erwartungsvoll an, und Helena ahnte, dass sie die Hausherrin sein musste. Helena geriet in Panik: Ihr Hindustani war bei weitem noch nicht gut genug, um mit ihren Gastgebern höflich Konversation zu treiben. Sie holte tief Luft, entschlossen, zumindest einen Anfang zu machen, legte die Handflächen zusammen und verneigte sich leicht. »Namasté.«
    Die dunklen Augen der Frau strahlten auf, als sie es ihr gleichtat.
    » Namasté, Shríimatii Neville. Sie haben die Bräuche dieses Landes sehr schnell gelernt, wie ich sehe«, fügte sie in dem gleichen fehlerlosen, aber mit Akzent gesprochenen Englisch wie ihr Gatte hinzu. »Ich bin Lakshmi Chand, und ich werde Ihnen heute Abend ein wenig Gesellschaft leisten.«
    Helena lachte erleichtert auf. »Dem Himmel sei Dank, Sie sprechen Englisch!«
    Lakshmi Chand verneigte sich noch einmal kurz und lächelte bescheiden.
    »Längst nicht gut genug. Kommen Sie, nehmen Sie Platz.« Mit einer einladenden Geste zeigte sie auf den niedrigen geschnitzten Tisch und die bestickten Polster. »Ich habe ein paar Kleinigkeiten bringen lassen, damit Sie unsere heimische Küche kennen lernen können.«
    Auf einem silbernen Tablett, das so groß war wie die gesamte Tischplatte, befanden sich in verzierten Schüsselchen Basmatireis, pur oder mit Safran gelb gefärbt, chapatis , dünne, knusprig gebackene Brotfladen; ein Hähnchencurry, gebratene Garnelen; pakoras , Gemüsekrapfen, mit Minzauce; chana dal, gelbe Linsen mit Kokos; gebratene Häppchen aus Lamm- und Schweinefleisch, dazu verschiedene Chutneys und unterschiedliche Gewürzmischungen, safrangelb, zinnoberrot, braun. Den Durst löschten ein fruchtiges Mango-Lassi und chai aus kleinen Gläsern. Lakshmi Chand ermunterte Helena, von allem zu kosten, erklärte ihr genau, aus welcher Region jedes einzelne der Gerichte stammte und aus was es zubereitet wurde, und auch wenn alles sehr fremd schmeckte, vieles beinahe unerträglich scharf war, mochte Helena es sehr.
    »Und was ist das?« Neugierig wies Helena auf eine tiefrote Gewürzpaste, in die sie gerade ein Stück Lammfleisch getunkt hatte und die ihr besonders gut schmeckte.
    »Das ist masala bata , aus Zwiebeln, Ingwer, Knoblauch, Tomaten und Chili. Es stammt aus der Heimat Ihres Mannes, aus dem Himalaya.«
    Helena spürte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg; es war nicht die Schärfe des Essens, sondern die Erwähnung Ians und der abwartende Blick, den ihr Lakshmi Chand dabei schenkte. Und der Gedanke drängte sich ihr auf, dass nicht reine Gastfreundschaft der Anlass für dieses Essen gewesen war, sondern Ian.
    »Er würde sich gewiss freuen, wenn Sie es einmal für ihn kochen würden«, sagte Lakshmi Chand leise.
    »Oh ja, gewiss«, erwiderte Helena bitter, mit einer Schärfe im Unterton, die sie selbst erschreckte.
    »Es hat uns alle überrascht, als wir die Nachricht erhielten, dass er geheiratet hat«, ergriff Lakshmi Chand nach einer kleinen Pause wieder das Wort. »Bislang hatte er eher – oberflächliche Beziehungen.«
    Wie zu Shushila?, fragte sich Helena stumm, und wieder versetzte ihr der Gedanke einen Stich.
    Lakshmis Blick wanderte traurig über die Reste des Essens.
    »Ich habe große Angst um ihn.« Sie schien mehr zu sich selbst zu sprechen als zu Helena. »Er ringt mit den Dämonen, die ihn verfolgen, und sieht nicht, dass sie ihm seine Seele rauben.« Impulsiv ergriff sie Helenas Hand. »Retten Sie ihn, ehe es zu spät ist.«
    »Wie sollte ich das können?«
    »Indem Sie ihn lieben, bétii . Das ist das Einzige, was ihn retten kann – und das Einzige, was er fürchtet. Und Sie können es, ich weiß es, denn Sie haben ein großes Herz.« Sie drückte Helenas Hand, ehe sie sich erhob. »Ich sage Ihnen Lebewohl, denn Sie werden morgen sehr früh aufbrechen. Gita wird Sie auf Ihr Zimmer bringen.« In raschelnder Seide schritt sie auf die Tür zu, ehe sie sich noch einmal umdrehte. »Was er auch tut oder sagt – vergessen Sie nie, dass Sie die Stärkere sind. Ich vertraue ihn Ihnen an, als sei er mein eigener Sohn.«
    Es waren vor allem diese Worte Lakshmi Chands, die Helena nicht mehr aus dem Sinn gingen, derentwegen sie sich nun von einer Seite auf

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