Himmel über Darjeeling
leise auf. Sein Mund wanderte über ihr Gesicht, den Hals entlang, als sich Bahn um Bahn die Seide um ihren Körper löste und zu Boden glitt, knisternd ein Knopf des cholis nach dem anderen sich öffnete, die Luft des Raumes, obschon warm von den Flammen der Laternen, kühl über ihre nackte Haut strich. Es war, als ob der Teil von ihr, der sich bislang gegen seine Berührungen, seine Nähe gewehrt hatte, betäubt war von den Gerüchen, Farben und Klängen der Nacht, und ein anderer, sinnlicher Teil gerade dadurch geweckt worden war. Suchend strichen Helenas Hände über Ians Schultern, unter das Hemd, spürten seine warme Haut, die harten Muskeln darunter, zerrten ungeduldig an dem dünnen und ihr doch zu dicken Stoff. Sie hörte Ian leise lachen, als er sich davon befreite, und das feine Leinen der Kissen war kühl und glatt auf ihrer erhitzten Haut, als das Bett sie beide auffing.
Helenas Finger verhakten sich in einer silbernen Kette, und obwohl sie diese noch nie bemerkt hatte, wusste sie instinktiv, dass er sie immer trug.
»Was ist das?« Neugierig betrachte sie den Anhänger.
»Der Reißzahn eines Tigers, den ich einmal geschossen habe«, murmelte er zwischen zwei Küssen, Helena mit sanfter Gewalt zurück in die Kissen drückend. Doch sie entwand sich ihm, drehte den silbergefassten Zahn hin und her. »Was bedeutet er?«
»Verteidigung – und Unbesiegbarkeit«, flüsterte er in ihr Haar, strich mit seinem glühenden Atem über ihr Gesicht, biss sie zart in den Hals, dass heiße und kalte Schauer sie durchliefen. Als sie ihn wieder zu sich ziehen wollte, streifte ihre Hand an seiner Schulter etwas Hartes, Unregelmäßiges. Entsetzt fuhr sie mit den Fingerspitzen über das vernarbte Gewebe, das sich vom Schlüsselbein über die Schulter den Oberarm entlangzog, auf der gleichen Seite wie die Narbe auf seiner Wange.
»Ian, was –? « Er verschloss ihren Mund mit seinen Lippen, drängender, fordernder. Unter seinen zugleich sanften und beherrschenden Händen bäumte sie sich vor Lust und Verlangen auf. Dann drang etwas Heißes, Hartes in sie ein, als sie Ians Gewicht auf sich spürte, verursachte einen scharfen, brennenden Schmerz; sie schrie auf, stieß Ian von sich und klammerte sich gleichzeitig an ihn, ehe eine unfassbare Hitze sie durchströmte, ihren Körper wie ihre Seele vibrieren ließ, einem schwindelerregenden Rausch gleich, und die Wogen des Vergessens schlugen über ihr zusammen.
Die grelle Mittagssonne weckte sie, und ein Gefühl schaler Verlassenheit griff nach ihr, als sie sich umdrehte und die zerknüllten, rosenbestreuten Laken neben ihr leer und kalt waren.
14
M üßig saß Helena auf den weichen Polstern, mit denen die Stufen des Innenhofes bedeckt waren. Die Sonne des späten Nachmittags schien über die hohen Mauern herein, und die Luft duftete nach Blüten und durchwärmtem Stein. Der pfauenblaue Sari mit der breiten türkisfarbenen Borte und der Stickerei aus Goldfäden schmiegte sich kühl an ihre Haut, als sie die Beine anzog und das Kinn nachdenklich auf den Knien ruhen ließ. Sie sah Jason zu, wie er mit einigen Kindern des Palastes lachend herumtollte. Zeit schien hier keine Bedeutung zu haben: Wie eine unvergängliche Insel lag Surya Mahal im ewigen Ozean aus Steinen und Sand der Weiten Rajputanas, und so war es ihr entgangen, dass im übrigen Land nach der Zeitrechnung der Kolonialherren das Jahr 1877 angebrochen war. Dennoch schienen sich ihre Tage und Nächte nur mühsam voranzuschleppen. In diesem Haus schien es für sie nichts weiter zu tun zu geben, als in der Sonne zu sitzen und zuzusehen, wie Jasons Hindustani in der Gesellschaft der dunkelhäutigen Kinder, die ihn als einen der ihren betrachten zu schienen, jeden Tag fließender wurde, er sichtlich aufblühte und Farbe bekam.
Die ihr aufgezwungene Ruhe zwischen schläfrigem Dösen im sonnendurchfluteten Hof der zenana und dem täglichen Leben im Palast, das einem stetigen, gleichmäßigen Rhythmus folgte, in dem ihr jeder Wunsch von den Augen abgelesen wurde, hatte zusammen mit dem reichlichen Essen – vielfältige Gerichte aus scharf gewürztem Fleisch, Gemüse und süß-herben Chutneys, Reis und Hirse, süße Leckereien aus Nüssen und Honig, Sahne und Früchten –, zu dem sie ständig von den Frauen oder Djanahara selbst genötigt wurde, ihre Wirkung zu tun begonnen: ihre Hüften hatten sich gerundet, und ihre volleren Brüste ließen die engen cholis spannen. Doch eine innere Unruhe hielt sie gefangen,
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