Himmel über Darjeeling
Zigarre in der anderen Hand sah er zu, wie sich das Papier kräuselte und braun färbte, wie die Flammen es zu verzehren begannen und es schließlich zu Asche zerfiel.
17
L aut knirschten die Hufe der Pferde über Sand und Geröll, zarte Staubschleier hinter sich aufsteigen lassend. Obschon die Nächte noch kalt waren unter einem sternenklaren Himmel, erhitzte die Sonne tagsüber den kargen Boden, kündigte das Ende des kurzen Winters an. Helena sehnte sich ebenso nach den kühlen Innenhöfen und luftigen Räumen Surya Mahals zurück wie nach den prasselnden Kaminfeuern, die die Abende erwärmt hatten. Doch sie genoss die Sonne auf ihrer Haut, den Wind, der lose Nester vertrockneten Grases vor sich her trieb, den Geruch nach trockener Erde und staubigem Stein, der dennoch die Klarheit des seidig blauen Himmels über ihnen in sich trug.
Es war ein sorgsam geplanter Aufbruch gewesen, der sich über mehrere Tage hinzog, in denen alles gepackt wurde und die Pferde beladen wurden, ungleich der Hast, die Ian bislang an den Tag gelegt hatte, wenn es darum ging, eine Reise anzutreten, als fiele ihm der Abschied von Surya Mahal ebenso schwer wie Helena. Dennoch hatte sie ihn kaum zu Gesicht bekommen, fühlte sich nicht bedeutender als eines der zahlreichen Gepäckstücke, die zum Aufladen bereitstanden. Vier Tage war es bereits her, dass Djanahara sie unter Tränen noch einmal in die Arme geschlossen hatte, begleitet vom Wehklagen der versammelten Frauen und Männer, ehe sich die Torflügel öffneten und die kleine Karawane in den hellgoldenen Wüstenmorgen hinauszog. Nach der bunten Pracht des Lebens im Palast erschien der Ritt durch die Ödnis noch eintöniger, noch ermüdender als beim ersten Mal, für Helena zusätzlich erschwert durch die Anspannung, die sie bei der Vorstellung verspürte, ihrer künftigen Heimat entgegenzureiten. So sehr sie die Ankunft auf Shikhara ersehnte, der gemächliche Trab ihr nervenzerreißend langsam erschien, so beklommen dachte sie an das, was sie dort erwarten würde: ihr endgültiges, neues Zuhause, das sie sich nur so schwer ausmalen konnte.
Sie ließ die Zügel los, um den Ärmel ihres Hemdes weiter aufzukrempeln, und geriet einen Augenblick aus dem Gleichgewicht, als Mohan Tajid vor ihr seinen dunklen Wallach plötzlich zum Stehen brachte und ihre braune Stute es ihm gleichtat. Seine dichten graumelierten Augenbrauen zusammengezogen, blickte er aufmerksam umher, als witterte er mit allen seinen Sinnen eine Fährte.
»Was ist?« Ian hatte seinen schwarzen Wallach gewendet und war zu ihnen gestoßen.
Ohne dass der Ausdruck angespannter Konzentration auf seinem braunen Gesicht nachließ, schüttelte Mohan Tajid sachte den Kopf, den Blick seiner schwarz glänzenden Augen weiterhin unablässig über die weite Fläche und das Hochplateau zu ihrer Linken schweifend.
»Jemand folgt uns.«
Helena schirmte mit der Hand ihre Augen vor der grellen Sonne ab und folgte Mohans Blicken. Auch wenn sie nichts sah außer Geröll und Stein und gottverlassene, sonnenverbrannte Erde, ließ Mohans Wachsamkeit ihren Magen sich mit einem flauen Gefühl zusammenballen.
»Nimm du den Jungen«, wies Ian Mohan an, ehe er ohne Hast, aber in einer raschen Bewegung abstieg und Helena aus dem Sattel zog. Sie wollte protestieren, doch ihr Widerstand brach an der Angst, die sie wie eine Flutwelle in sich spürte, und ließ sie auf Ians Wallach umsteigen, während einer der sie begleitenden Rajputenkrieger Jason von seinem Fuchs in den Sattel vor Mohan Tajid umlud.
Es durchschoss Helena heiß, als Ian sich hinter ihr in den Sattel schwang. Eng umschlossen seine Oberschenkel die ihren, und die Wärme seines Körpers an ihrem Rücken, jeder Atemzug, der seinen Brustkorb hob und senkte, ließen neue Hitzeschauer durch ihren Körper rieseln.
Die schläfrige Ruhe, in der die Reitergruppe die vergangenen Tage dahingezogen war, war einem spannungsgeladenen Schweigen gewichen, als sie weiterritten. Auch ohne dass sie es sah, spürte Helena, dass die Rajputen, die sie begleiteten, auf der Hut waren, unablässig die Ebene um sie und die Ausläufer der Berge beobachteten, die Ohren aufsperrten, jede Sekunde zur Verteidigung bereit.
»Dein Haar riecht gut«, murmelte Ian in ihre Mähne, und ihr Kopf fuhr herum.
Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel unter dem schwarzen Bart, und seine Augen funkelten. Fast schien es, als genösse er den Hauch der Bedrohung, der sie umwehte. Er musste die Angst in ihrem Blick gesehen
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