Himmel über Darjeeling
Frau und seine Kinder? Ich sage dir, es hat uns eingeholt, uns alle, das gesamte Regiment …« Die Augen seines Gegenübers quollen beinahe aus dem unförmigen Gesicht, als er sich herüberlehnte und Richards Arm packte. »Sei auf der Hut, Dick – er wird dich auch noch kriegen! Wir haben ihn damals verscharrt, im trockenen Boden dieses verfluchten Landes, aber er irrt umher, sage ich dir, und er wird dich auch noch holen!« Seine Stimme war bei den letzten Worten schrill vor Angst geworden.
»Entschuldigen Sie, Sir.« Einer der Stewards in gestreifter Weste beugte sich über den auffälligen Gast. »Aber ich möchte Sie im Namen unseres Hauses bitten, sich zu mäßigen. Es ist hier im Grand Hotel nicht üblich – «
Hastig sprang der Angeredete auf, sich nur schwankend auf den Beinen haltend.
»Lass mich in Frieden, du Lackaffe! Was wisst ihr gottverdammten Zivilisten denn schon – wir waren es, die damals den Aufstand niederschlugen, wieder Frieden in das Land brachten, den Frieden, den ihr heute so selbstgefällig genießt! Wir waren es, die damals durch den Staub gerobbt sind, den Kugeln aus dem Hinterhalt auswichen, die unsere Kameraden begruben und die Leichen von Kanpur – nur damit ihr euch in euren verfluchten Seidenwesten jetzt wie Sahibs aufführen könnt!«
Auf einen Wink des Stewards hin ergriffen zwei weitere herbeieilende Stewards den unliebsamen Gast und bugsierten ihn unter den entrüsteten Blicken der Gentlemen unsanft in Richtung der mit schweren Portieren verhängten Glastür.
»Lasst mich los, ihr Hurensöhne – Lieutenant Leslie Mallory vom 33., jawohl, das bin ich, also lasst mich in Ruhe, ihr – « Sein Krakeelen verklang hinter der eilig wieder geschlossenen Tür, wurde von teurem Holz, der leise perlenden Musik und den wieder einsetzenden Gesprächen verschluckt.
»Ich bedaure diesen unerfreulichen Zwischenfall zutiefst, Mr. Carter«, verbeugte sich der Steward. »Ich hoffe, Sie werden ihn nicht unserem Haus anlasten. Darf ich Ihnen auf diesen Schrecken hin einen Whiskey anbieten, Sir? Wir hätten da noch einen zwanzigjährigen schottischen Malt, der sicher Ihre Zustimmung finden wird.«
»Sehr gern, danke«, nickte Richard ihm zu, und als er das Glas wenig später anhob, lag die Oberfläche der bernsteinfarbenen Flüssigkeit ruhig wie ein Spiegel darin.
18
H elles, vielstimmiges Vogelgezwitscher weckte Helena aus tiefem, traumlosem Schlaf. Müde blinzelte sie in das stahlblaue Licht, das durch die leichten Vorhänge in das Zimmer drang. Kühl und klar strömte die Morgenluft durch das geöffnete Fenster, roch nach Fels und taufeuchtem Laub. Sie begann sich zu strecken, bis der brennende Schmerz, der durch ihre Muskeln schoss, sie mit einem leisen Schmerzenslaut zusammenfahren ließ. Schwerfällig drehte sie sich auf die Seite, schmiegte sich in die weißen, spitzenumsäumten Kissen und spürte den Strapazen ihrer Reise nach.
Drei Tage lang hatte sie der bequeme Eisenbahnwagen quer über den Subkontinent getragen. Von den rosafarbenen Mauern Jaipurs aus, dramatisch von der untergehenden Sonne in bronzenes und purpurnes Licht getaucht, waren sie in die Nacht hinein gefahren, ohne noch einmal das Haus der Chands aufgesucht zu haben. Seit jenem Tag in der Wüste, als Mohan Tajid sie beobachtet geglaubt hatte, schien die Männer eine Unrast gepackt zu haben, und sie waren bestrebt, sie möglichst schnell aus der offenen, ungeschützten Landschaft in Sicherheit zu bringen. Kein Wort war gefallen, das Helena darüber Aufschluss gegeben hätte, aber sie hatte es gespürt, und sie sah es an der Wachsamkeit in Ians und Mohans Augen, die sich darin so verblüffend ähnelten, wie glatt polierte schwarze Steine, hart und undurchdringlich. Und kaum hatten sie den wartenden Eisenbahnwagen bestiegen, war Ian in seinem Separee verschwunden, verriet nur der Geruch nach Zigarettenrauch seine Anwesenheit.
Der neue Tag hatte eine neue Landschaft gebracht, gänzlich verschieden von der trockenen Einöde, die Helena so vertraut geworden war, und eine neue Sicht auf das Land, das nun ihre Heimat sein sollte. Zu ihrer Linken begleitete sie das geschwungene Band des Ganges, silbern glitzernd in der Sonne, grünlich durchscheinend, wo der Fluss schnell vorüberschoss; trübe und schlammig in sandigen Tönen, wo er seinen Lauf verlangsamte. Schwärme von winzigen Fischerbooten tanzten um die behäbigen Dampfschiffe, Büffel und Kühe badeten in den Fluten, Wild preschte die Böschung empor.
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