Himmel über Darjeeling
Hügeln oberhalb Darjeelings zu erwerben, genug, Hunderte von Arbeitern zu bezahlen, den dortigen Dschungel zu roden und die Teeschösslinge zu setzen; genug, um das mit Abstand prächtigste Wohnhaus zu errichten, ungleich den primitiven Bungalows der anderen Pflanzer. Woher er kam, woher das Kapital dafür stammte – niemand wusste es, und umso wilder blühten die Spekulationen darüber.
Richard hätte nicht sagen können, was er mit all seinem Wissen anzufangen gedachte. Sorgsam vernichtete er jeden schriftlichen Beweis – so wie er damals jegliche Spur seines bisherigen Lebens ausgelöscht hatte. Doch die Erinnerung an jenes Leben, das er längst vergessen geglaubt hatte, das nur hin und wieder in den Schatten von Albträumen emporkroch, folgte ihm auf Schritt und Tritt in den Straßen Kalkuttas. Fast war er versucht gewesen umzukehren, doch der Gedanke an Helena war stärker. Wie unglücklich, wie verloren sie ausgesehen hatte, inmitten all der selbstgerechten, hochnäsigen Lords und Ladys, und er ertrug kaum die Vorstellung, was sie in den Händen dieses Mannes, dem der Ruf eines ebenso lüsternen wie eiskalten Fauns vorauseilte, erdulden mochte.
» Dick? Dick Deacon? Was ein unglaublicher Zufall, nach all den gottverdammten Jahren … He, Dick!«
Erst als ihn die plumpe Hand, die zu der durchdringenden Stimme gehörte, an der Schulter rüttelte, sah Richard auf.
»Kann ich Ihnen helfen, Sir?«, fragte er freundlich.
»Du bist es wirklich!« Der untersetzte Mann in dem gut geschnittenen, aber etwas abgewetzten Anzug lachte hell auf und tätschelte begeistert Richards breite Schulter, ehe er sich aufseufzend in den nebenstehenden Sessel plumpsen ließ, dass der Whiskey aus seinem Glas schwappte, und er seine kurzen Beine von sich streckte, einen deutlich wahrnehmbaren Geruch nach Alkohol und Schweiß verströmend.
Ein Leuchten stand in den wasserblauen Augen, die in seinem weichen, teigig aufgequollenen Gesicht unter dem lichtblonden, schon etwas schütteren Haar beinahe versanken, als er Richard anstrahlte.
»Herr im Himmel, dass ich das noch erleben darf – wenigstens einer von uns, dem der Fluch nichts anhaben konnte!« Besorgt runzelte er die Stirn und beugte sich zu Richard. »Es geht dir doch gut, oder, Dick?«
Richard lächelte ihn über die Seiten der Zeitschrift hinweg an und nickte.
»Vielen Dank der Nachfrage, Sir, es geht mir hervorragend.«
Sein Gegenüber seufzte erleichtert auf und ließ sich wieder in den Sessel zurückfallen.
»Dick, ich kann dir nicht sagen, wie mich das erleichtert! Der Drill unter dem alten Claydon, das Gemetzel in jenem Sommer – das war alles nichts gegen das, was uns Jungs danach ereilte! Jimmy Haldane – tot in einer Opiumhöhle aufgefunden. Tom Cripps – hat sich erhängt. Bob Franklin – erschoss seine Schlampe von Ehefrau und dann sich selbst. Toby Bingham – vegetiert in einer Irrenanstalt vor sich hin. Eddie Fox – Lungendurchschuss in einem Duell. Sam Greenwood – ist in einem Freudenhaus Amok gelaufen und hat dabei nicht nur etliche Huren, sondern leider auch einen Offizier erledigt, hat den Strang gekriegt. Der alte Claydon selbst … na, du wirst es ja in der Zeitung gelesen haben. Und ich …«, mit einer schwungvollen Bewegung deutete er auf sich selbst, wobei der restliche Whiskey über seine Hand lief. »Alles verloren, restlos alles, im Kartenspiel gegen den Satan höchstpersönlich. Bin enterbt und verstoßen, hab grad noch die winzige Pension, die mir die Armee für meine Dienste damals bezahlt.«
»Es tut mir Leid, das zu hören«, quittierte Richard den auffordernden Blick seines unfreiwilligen Gesprächspartners kurz, ehe er weiterblätterte.
»Es war dieser Hurensohn von Verräter – erinnerst du dich? Dieser baumstarke Kerl, den wir monatelang gejagt haben, der mit den Schwarzen zusammen etliche von uns aus dem Hinterhalt erledigt hatte und sich dann versteckt hat? Kala Nandi , so nannten sie ihn. Wir haben nie erfahren, wer er wirklich war, irgendein Abtrünniger der Army, der sich auf deren Seite geschlagen hatte. An seinen Händen klebte englisches Blut – unser Blut. Bis zuletzt weigerte er sich, seine Identität preiszugeben – da halfen alle Peitschenhiebe nichts, nicht die nächtelangen Verhöre, mit denen du ihn gequält hast. Du und ich, wir haben ihn damals zur Strecke gebracht, mitten in der Wüste – erinnerst du dich? Erinnerst du dich, wie er am Galgen vor uns ausspuckte und Rache schwor – Rache für seine
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