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Himmel über Darjeeling

Himmel über Darjeeling

Titel: Himmel über Darjeeling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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Schneidige Offiziere, Femmes fatales , ambitionierte Bürokraten und gelangweilte Hausfrauen trafen sich in einem bunten Reigen gegenseitiger offizieller Besuche, stilvoller Tees und ausgedehnter Spaziergänge, Jagdausflüge und Picknicks in den umliegenden Wäldern, Dinners, opulenter Bälle, Pferderennen, Theateraufführungen und allgegenwärtigen Klatsches und Tratsches. Sorgfältig gestutzte Hecken säumten die mäandernden Straßen und Fußwege; Rosensträucher, Fuchsien, Lilien, Dahlien, nickende Glockenblumen zierten die Gärten der gotischen Villen, der Tudor Cottages mit halbem Fachwerk und der lebkuchenhausähnlichen Schweizer Chalets; die Gärten brachten eine Fülle an Blumenkohl, Petersilie, Erdbeeren, Äpfeln und Birnen hervor. Die hill stations , umgeben von dichten Wäldern und Wiesen, waren ein Teil Englands, voll nostalgischer Reminiszenzen an die schmerzlich vermisste Heimat, englischer selbst als das Mutterland, fernab von Schmutz und Elend und der gottlosen Fremdartigkeit Indiens.
    Nur Kalkutta entbehrte bis in die dreißiger Jahre ein solches Refugium, und so ließ die Kolonialregierung im westlichen Himalaya nach einem geeigneten Platz dafür suchen. Rdo-rje-ling, Garten des Diamantblitzes, ein verlassener Wehrposten des Kriegervolkes der Gurkha, wurde gefunden, zwischen Bengalen und den Grenzen der Königreiche von Nepal, Tibet, Bhutan und Sikkim gelegen. Diskret begannen die Verhandlungen mit dem Raja von Sikkim, zu dessen Territorium Darjeeling, wie es von den Engländern genannt wurde, gehörte. Fünf Jahre dauerte das diplomatische Tauziehen, und endlich, 1835, wurde Darjeeling Teil der britischen Krone. Doch es sollte noch weitere vier Jahre dauern, ehe mit dem Bau der Straße begonnen wurde, die Darjeeling mit den Ebenen Bengalens verband. Eine winzige, rudimentäre Siedlung entstand, mit einzelnen Steinpfaden, die die Hütten aus Flechtwerk und unverputztem Stein miteinander verbanden, und Hunderten von Menschen, die den Dschungel emsig wie Ameisen zu Bauparzellen rodeten.
    Als der offene Wagen mit Helena, Ian, Mohan Tajid und Jason die Mall, die Hauptstraße Darjeelings hinabrollte, war von den mühseligen Anfängen kaum mehr etwas zu erahnen. Doch der Einfluss der mittlerweile weit über einhundert Teegärten, die sich über die umliegenden Hügel und Täler erstreckten, war deutlich sichtbar. Bei allem Wohlstand entbehrte Darjeeling das Mondäne, Elegante der anderen hill stations , war die Stadt einfach und rustikal geblieben, spiegelte das harte Leben der Teepflanzer wieder, die bunte Folklore der Bergvölker. Vom höchsten Punkt der Stadt, dem Chowrasta, ausgehend, von dem man zwischen filigranen Birken über das sattgrüne Meer der Gärten und ganze Wälder von Rhododendron bis zu den bläulichen, schneebedeckten Berggraten sah, zog sich die Mall über den Rücken des Hügels. Um die Straße gruppierten sich Hotels, das Post- und Telegrafenamt, Banken und zahllose kleine Geschäfte vor dem Turm von St. Andrew’s in seinem typischen anglikanisch-gotischen Stil. Die Sommersaison hatte noch nicht begonnen – noch war es in Kalkutta angenehm genug für die Memsahibs, ihre Kinder und Dienstboten, und so waren die Straßen Darjeelings fast leer, die europäischen Gesichter in der Minderheit. Helena – in dem Kleid, das ihr am Tag zuvor solchen Kummer bereitet und an dem Yasmina eiligst während Helenas Morgentoilette ein paar der Häkchen versetzt hatte, mit einem passenden grün-weißen Hut und von einem zierlichen Sonnenschirm beschattet – entgingen nicht die feindseligen Blicke der Frauen in ihren einfachen Kattunkleidern, die ihren eleganten Wagen streiften, nicht die absichtlich knapp gehaltenen Begrüßungen der Männer in der typischen Pflanzerkluft, bestehend aus weißem Hemd, langen weißen Hosen und Tropenhelm, die vorüberritten. Und Ian in einem eleganten hellgrauen Anzug, barhäuptig, einen Arm lässig auf der Rückenlehne des Wagens ruhen lassend, schien es sogar noch zu genießen.
    »Du scheinst hier nicht sonderlich beliebt zu sein«, sagte sie schließlich.
    »Das kann man wohl sagen.« Amüsiert ließ er seine Augen über die Straße schweifen, erwiderte die Blicke der Passanten derart provozierend, dass diese die ihren wütend senkten. »Aber darauf lege ich auch keinen sonderlichen Wert. Ich ziehe es vor, respektiert zu werden – und hier hat man in der Tat einen Heidenrespekt vor mir!«
    »Geht nicht beides – Respekt und Wertschätzung?«
    Er schüttelte

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