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Himmel über Darjeeling

Himmel über Darjeeling

Titel: Himmel über Darjeeling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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um ein paar Tage verpasst. Ganz Indien feiert es im Frühling, um die Verbrennung der Dämonin Holika zu feiern. Am ersten Abend werden Freudenfeuer in den Straßen entzündet, und in einem davon wird eine Holika aus Bambus und Stroh unter Jubelrufen verbrannt. Am zweiten Tag findet das eigentliche Fest statt: Unabhängig von der Kaste bewerfen sich die Menschen aus vollen Händen mit Farbpulver, und am Abend schenkt man sich gegenseitig Süßigkeiten und Kuchen.« Er zwinkerte ihr zu. »Aber das nächste Fest kommt bald; in Indien wird ständig irgendwo gefeiert.«
    Silberschmiede wachten über ihre auf bunten Stoffen ausgebreiteten gehämmerten Ringe und Armreifen; Gewürzhändler wogen kleine Tütchen kostbaren gelben, roten, moosgrünen Pulvers ab und große Stücke der knorrigen Ingwerwurzeln mit ihrem hellgelben, duftenden Inneren. Ein Schuhmacherlehrling im Schneidersitz zog flink die Ahle zwischen zwei Lederstücken hindurch, während sein Meister einen Schuh über dem Leisten zurechtklopfte. An Holzgerüsten aufgeknüpft baumelten kopfüber Hühner, Wachteln, Truthähne. Der muslimische Schlachter hackte vor den Augen seiner wartenden Kundschaft auf eine Rinderhälfte ein, während sein hinduistischer Kollege ein Schaf zerteilte. Ein Obstbauer schrie sich die Kehle heiser, als er lauthals seine verlockend in der Sonne glänzenden Früchte anpries. Von irgendwoher roch es verlockend süß, nach Zimt und Kardamom, und Helena schnupperte unwillkürlich in die Richtung, aus der der Duft kam.
    »Möchtest du?« Ian wies auf den Stand, an dem ein bärtiger Mann mit aufgekrempelten Ärmeln unregelmäßig geformte goldgelbe Krapfen aus dem Topf mit brodelndem Fett fischte, während seine Frau mit geübten Handbewegungen neue formte. Helenas Magen zog sich verlangend zusammen, obwohl sie heute Morgen erst reichlich gefrühstückt hatte; sie wollte schon den Kopf schütteln, doch Ian war bereits zu dem Stand hinübergegangen, zog ein Geldstück aus seiner Westentasche und kehrte mit zwei der Krapfen zurück, jeder in ein Stück Papier gewickelt. Einen davon hielt er Helena hin, die zögerte. Ian grinste. »Nur zu – hier verirrt sich so selten eine Memsahib her, dass die Leute es schon verkraften werden, wenn sie dich in der Öffentlichkeit essen sehen.«
    Beherzt biss Helena hinein und konnte einen genießerischen Laut nicht unterdrücken. Die dünne, mit Zucker bestäubte Kruste war heiß und knusprig, und unter ihr quoll der süßsäuerliche Geschmack verschiedener Früchte hervor, nur lauwarm, fast noch kühl.
    » Phaler bora , aus Bengalen«, erklärte Ian und fügte schmunzelnd hinzu: »Ich wusste, dass sie dir schmecken würden.«
    »Wohin gehen wir?«, fragte Helena zwischen zwei Bissen.
    »Zu meinem chinesischen Schneider. Fast alle Engländer lassen auf der Mall anfertigen, aber weder die Stoffe noch die Arbeit dort sagen mir zu. Ich schätze das englische Gesicht Darjeelings nicht sonderlich, denn nur hier, im asiatischen Viertel, hat die Stadt eine Seele.«
    Abseits des Trubels auf dem Basar betraten sie ein hohes, schmales Haus, völlig unscheinbar, dessen Fassade zum Teil mit Holz verkleidet war, das Dach mit Schindeln gedeckt. Sie waren kaum über die Schwelle getreten, als ein kleiner, dünner Chinese aus einem Nebenraum hervorgeschossen kam, Ians Hand herzlich schüttelte und ihn mit einem in hoher Stimme vorgetragenen Singsang begrüßte. Doch Helena achtete kaum darauf; sie war gänzlich gefangen vom Anblick der Stoffballen, die sich ringsum in Holzgestellen bis an die Decke des Raumes stapelten, auf dem Boden türmten, auf dem großen Tisch in der Mitte des Raumes ausgebreitet lagen. Sie konnte sich nicht satt sehen an dem scheinbar heillosen Durcheinander an Farben und Mustern, der Leuchtkraft der Stoffe und ihrer Drucke. Die Stoffe hier waren gänzlich verschieden von den Mustern, die man ihr in London gezeigt hatte – sie waren heller, leichter, farbiger, als spiegelten sie die Leichtigkeit der Bergluft wieder.
    Der Chinese rief über seine Schulter hinweg, und sofort eilte eine kleine Chinesin herbei, die sich Helena als Mrs. Wang vorstellte, begeistert ihre Hand schüttelte und sie dann schnell in ein winziges Nebenzimmer, kaum mehr als eine Kammer, bugsierte und hinter einen Paravent stellte. Ehe Helena es sich versah, hatte sie ihr den Hut vom Kopf genommen, sie des Schirms entledigt, sämtliche Häkchen geöffnet und sie aus dem Kleid geschält. Helena lief tiefrot an, als sie sich in

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