Himmel über Darjeeling
Benommen, fast leblos, lag das Fohlen da, als könnte es nicht glauben, doch noch den Weg aus dem Mutterleib geschafft zu haben. Dann lief ein Zucken durch es hindurch; es schnaubte, dass es wie ein Niesen klang, hob den Kopf und bewegte unruhig die Hufe, als hätte es jetzt, nachdem es so lange gebraucht hatte, besonders eilig, aufzustehen und die Welt zu erkunden. Sie lachten auf, befreit und atemlos, und Ian sah Helena an. »Wie soll sie heißen?«
»Lakshmi«, antwortete Helena ohne Zögern. »Die Göttin des Glücks muss heute Nacht einfach die Hand über sie gehalten haben.«
Ian musterte sie, einen Ausdruck in den Augen, den sie nicht zu deuten vermochte, und einen Augenblick lang glaubte sie, etwas Falsches gesagt zu haben, dann lächelte er und nickte.
»Genau das dachte ich auch.«
Helena hörte Mohan etwas davon murmeln, in der Küche Frühstück richten zu lassen, sah, wie er sich entfernte, doch sie achtete kaum darauf; gebannt sah sie zu, wie Lakshmi sich mühevoll aufrichtete, wie ihre dünnen, viel zu lang wirkenden Beine an den knotigen Kniegelenken immer wieder einknickten, sie mit den Hufen abrutschte, und sie schien zornig darüber, dass es ihr nicht auf Anhieb gelang. Helena wollte ihr helfen, doch Ian legte ihr die Hand auf den Arm.
»Lass sie«, sagte er sanft, »sie muss es alleine können.«
Endlich stand das neugeborene Pferd, wenn auch noch unsicher, und gab ein dünnes Wiehern von sich, wie ein Ausruf des Triumphes. Sarasvati stupste es vorsichtig mit der Nase an, und Lakshmi wandte den Kopf zu ihrer Mutter, erwiderte den Gruß so heftig, dass ihre Hinterläufe wieder einknickten, die sie aber sogleich störrisch wieder durchdrückte, ehe sie zielstrebig auf den Leib ihrer Mutter zustakste, und wenig später konnten sie das gierige Schmatzen hören, als sie zum ersten Mal trank.
Helena konnte ein paar Freudentränen nicht unterdrücken, und sie war froh, als Ian hinter sie trat, die Arme um sie legte und sie an sich presste. Sie spürte seinen Herzschlag durch ihrer beider Hemden hindurch, die nassgeschwitzt waren von den Stunden der Anstrengung, nur mehr ein Hauch von Stoff zu sein schienen, und Helena glaubte zu spüren, dass der Rhythmus seines Herzens das Echo des ihrigen war.
»Sie gehört dir«, murmelte er gegen ihr Haar, und sein warmer Atem ließ ihr einen wohligen Schauder den Nacken hinabrieseln, »denn sie ist genauso willensstark und eigensinnig wie du.« Er schien zu zögern, dann setzte er hinzu. »Lass uns nach dem Frühstück in die Stadt fahren.«
Es war nicht das, was sie von ihm hatte hören wollen, nach ihrem Streit, seinen verletzenden Worten ein paar Stunden zuvor, aber sie ahnte, dass er ihr damit mehr entgegenkam, als es seine Art war, und es genügte.
20
A uf Gipfeln gelegen, die wie erhabene Wächter über den hitzeflirrenden Ebenen thronten, hatte jede Metropole Britisch-Indiens ihre hill station , einen Zufluchtsort vor der Glut des Sommers, von kühlen Brisen und klarer Luft durchzogen: Delhi hatte Simla, Mussorie und Dehra Dun im Westen des Himalaya; Bombay hatte Mahabaleswar und Poona; Madras hatte Ootacamund in den blauen Hügeln von Nilgiri. Ursprünglich als Sanatorien für die unteren zivilen und militärischen Ränge der East India Company gedacht, die sich die Reisen nach Südafrika, Australien oder zurück nach England für eine heilsame Luftveränderung nicht leisten konnten, erhielten sie jedoch bald auch Besuch von Gouverneuren und Generalgouverneuren, die selbst in der frischen Luft nicht auf die Ausübung ihrer Macht verzichten wollten. Straßen wurden gebaut, Bungalows, mit offiziellen Geldern errichtet, verwandelten die Kurorte in politische und militärische Hauptquartiere – Machtzentren, von denen Befehle ausgegeben und ausgeführt wurden, mit scheinbar olympischer Allmacht.
Das gesellschaftliche folgte dem militärischen Leben, und die hill stations wurden zu den kolonialen Spiegelbildern von Bath oder Brighton – bevorzugte Orte für Frauen, um ihre Kinder zur Welt zu bringen und diese dort zu erziehen; für junge Kavaliere und sittsame junge Ladys, um sich nach allen Regeln der Etikette zu begegnen, umeinander zu werben und zu heiraten; für ehrgeizige Beamte, um die Kontakte zu knüpfen, die sie auf der Karriereleiter voranbrachten; für Pensionäre, müde vom jahrelangen Dienst in diesem unerbittlichen Land, um ihren Lebensabend zu genießen, für Invalide und Kranke, um sich zu erholen oder friedlich zu sterben.
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