Himmel über dem Kilimandscharo
brannte, wurde ihr warm.
Kurz vor Weihnachten stürmte es so heftig, dass die Öfen nicht mehr zogen und die Leute sich sorgten, bei Flut könne die Leda über die Ufer treten. In der Nacht konnte Charlotte nicht schlafen. Der Wind ließ das Haus klappern und stöhnen, heulte draußen um die Hausecken wie ein wildes Tier, das in der Stadt umherlief und Böses im Schilde führte. Leise setzte sie sich im Bett auf und versuchte, in der Dunkelheit der Kammer zu erkennen, ob Tante Fanny und Ettje schliefen. Nichts regte sich, und von Tante Fannys Bett her konnte sie ein leises Schnarchgeräusch vernehmen.
» Was ist?«, flüsterte Klara neben ihr. » Musst du mal raus?«
» Nee. Schlaf nur weiter.«
Sie schlüpfte unter dem Federbett hervor und tastete sich zur Tür. Nur im Nachthemd und auf Socken, war es scheußlich kalt, aber die Schlafkammer war zu dunkel, als dass sie das blaue Tuch hätte finden können, das irgendwo neben dem Bett auf dem Fußboden lag. Erst als sie auf dem Flur stand, spürte sie, dass Klara ihr gefolgt war.
» Geh wieder ins Bett!«
» Ich bin nicht müde. Bei Sturm kann ich sowieso nie schlafen.«
Im Flur stand eine Laterne auf einem Hocker, daneben lagen die Streichhölzer, damit man im Notfall rasch Licht machen konnte. Charlotte brauchte drei Hölzchen, um die kleine Kerze zu entzünden, weil ihre Finger so klamm waren, aber auch, weil es durch die Ritzen des Flurfensters so heftig zog.
» Du muss voraussteigen, Klara«, sagte Charlotte und deutete auf die Stiege zum Dachboden. » Wenn du fällst, halte ich dich fest.«
» Was willst du da oben?«
» Das siehst du dann…«
Die Stiege war sehr schmal und steil, außerdem gab es kein Geländer, so dass Charlotte große Angst hatte, Klara könne stolpern und sich verletzen. Doch sie schaffte es bis zur Dachbodentür, nur als sie den rostigen Riegel zurückschob, musste Charlotte sie festhalten. Es gab ein hässliches, knirschendes Geräusch, das beide Mädchen zusammenfahren ließ. Reglos verharrten sie auf der Stelle.
» Lass mich vorgehen«, wisperte Charlotte nach einer kleinen Weile.
Die Laterne warf einen gelblichen, zitternden Lichtkreis über den Bretterfußboden, und sie konnten eine alte Kommode erkennen, auf der Töpfe mit Schmalz und eingekochtem Mus standen. Daneben fanden sich ein ausgedienter Stuhl und eine hölzerne Wiege, in der einst alle fünf Kinder der Großeltern gelegen hatten, auch die Enkel hatte man darin in den Schlaf gewiegt, wenn sie auf Besuch waren.
» Da ist sie.«
Man hatte die schwarze Truhe mit einem alten Tischtuch abgedeckt und weit unter die Dachschräge geschoben. Als Charlotte das Tuch aufhob und der Laternenschein auf die Truhe fiel, konnten die beiden Mädchen unter dem Glas die bunte Zeichnung erkennen: einen mächtigen Berg mit drei Gipfeln, einer davon schneebedeckt. An seinem Fuß wuchs grüner Urwald, über dem weißen Gipfel war der Himmel dunkelblau und unsagbar klar.
Die Kiste hatte Papa ihr zu ihrem neunten Geburtstag geschenkt, und sie hatte darin ihre Schätze aufbewahrt. Einen kleinen Affen aus Blech, der rasselnd umherhüpfte, wenn man ihn aufzog. Anziehpüppchen aus Papier, die sie sorgsam ausgeschnitten hatte mitsamt all ihren Kleidern, Hüten und Schuhen. Eine kleine Kugel aus Elfenbein mit durchbrochenem Schnitzwerk, in der eine weitere Kugel steckte und sogar noch eine dritte, ganz winzige, die ebenfalls von Ornamenten bedeckt war. Eine Muschel, wie eine gewölbte Hand, außen rosig und innen wie glänzendes Silber; wenn man sie ans Ohr hielt, hörte man das Meer rauschen.
» Halt mal die Laterne, Klara!«
Vorsichtig nahm sie den schwarzen Götzen heraus, den Papa ihr aus Afrika mitgebracht hatte. Er war aus Holz geschnitzt, hatte riesige Augen und breite Lippen, sein Körper war seltsam zusammengekauert und viel zu klein für den mächtigen Kopf, doch er hatte breite Füße, auf denen er stehen konnte. Im schwankenden Lichtschein breitete Charlotte ihre Schätze auf dem staubigen Boden aus, denn Klara, der langsam der Arm lahm wurde, konnte die Laterne nicht länger still halten und wechselte immer wieder die Hände. » Findest du die Sachen schön? Der Affe kann auch hüpfen, aber ich mag ihn jetzt nicht aufziehen, weil es zu viel Lärm macht.«
» Mir gefällt die Muschel am besten.«
Vorsichtig legte Charlotte jedes Stück in die Truhe zurück, ganz langsam, bedächtig, damit nichts beschädigt oder geknickt wurde.
» Ich glaube, sie kommen doch nicht wieder«,
Weitere Kostenlose Bücher