Himmel über dem Kilimandscharo
teils befremdeter Miene beobachtete. Auch Christian, der Dobners Fuß gereinigt und verbunden hatte, suchte Charlotte häufig mit den Blicken, er schwieg jedoch, und man sah ihm nicht an, was er davon hielt.
Charlotte hatte die Kinder bald für sich gewonnen: Sie sang ihnen Lieder vor, die sie unglaublich schnell mitsingen konnten, sie erfand Geschicklichkeitsspiele mit kleinen Steinchen und Hölzern, sie stellte Fragen auf Suaheli, und auch wenn nicht alle diese Sprache verstanden, so begriffen sie doch, was die weiße Frau wissen wollte. Mit den Frauen war es schwieriger, sie schwatzten und stritten zwar unbefangen untereinander, doch Charlotte hatte schon bemerkt, dass es auch unter ihnen feste Gruppen gab, die den Kontakt mit anderen vermieden. Alle jedoch scheuten sich, längere Zeit mit einer weißen Frau zu reden, und wenn sie es taten, dann überlegten sie gut, was sie sagten und worüber sie besser nicht sprachen.
» Weshalb haben die Träger gestern ausgespuckt, als sie an diesem grauen Fels vorbeigingen?«
» Sie haben gespuckt? Nein, nein, bibi Ohlsen. Sie nicht haben gespuckt. Das hast du falsch gesehen.«
» Das mag sein. Aber sie haben auch Steine aufgehoben und sie vor den Fels geworfen.«
» Steine? Ja, vielleicht einer hat Stein aufgehoben und wieder fortgeworfen, weil er nicht gefällt.«
» So wird es gewesen sein«, erwiderte Charlotte geduldig. » Aber weshalb haben andere Männer Zweige abgerissen und sie vor den Fels gelegt?«
» Zweige? Sie waren im Weg, da sie sie haben abgerissen…«
» Jetzt verstehe ich«, versetzte Charlotte. » Wie dumm ich war. Ich habe gedacht, dieser graue Fels möchte Zweige und Steinchen fressen, und er mag gern angespuckt werden. Da habe ich ihn auch angespuckt…«
Die Frauen kicherten, eine beugte sich vor, um eine Horde Fliegen von den Teigfladen zu verscheuchen, eine andere legte die Fladen auf einen flachen Stein, der in der glimmenden Asche lag.
» Das vielleicht dumm von dir, bibi Ohlsen. Vielleicht aber auch nicht. Du den mzimu Tribut gezahlt hast.«
» Den mzimu?«
» Den Manen, den Geistern der Toten.«
Jetzt endlich bequemte sich eine der älteren Frauen, das Rätsel zu lösen.
» An dem Fels wurde einmal ein Mann getötet. Seine Manen immer noch dort sind. Sie wollen Wegzoll haben, sonst sie schicken Krankheit, wilde Tiere oder böse Menschen.«
» So ist das. Jetzt habe ich es verstanden.«
Ganz fremd waren ihr solche Vorstellungen nicht, auch daheim in Ostfriesland gab es Sagen von den Toten, die das Moor geschluckt hatte und die ruhelos an diesem Ort umgingen. Sie konnten die Lebenden in die Irre führen und sie tief hinunter in den Schlick ziehen.
» Was tut ihr aber, wenn ihr trotzdem ein Fieber bekommt?«
» Dann heilt Schamane. Manchmal auch Hexe. Aber Hexe ist nicht immer gut gelaunt; wenn sie böse, sie kann auch schaden…«
Die kranken Träger hatte man mit Chinin behandelt, aber es gab da einen Mann, der hinten mit den Führern der Karawane ging und den Charlotte schon mehrfach wegen seines auffällig bunten Kopfschmucks bestaunt hatte. Er saß jetzt bei den Fiebernden, rauchte Hanf in dicken Schwaden und bespritzte die Männer immer wieder mit einer trüben Flüssigkeit, die in einer Schale vor ihm stand. Ob das Wasser war?
» Ja, bibi. Wasser kann heilen. Er macht Zauber hinein. Er geht zu den Geistern. Wenn er dann in Wasser spuckt, die Geister geben dem Wasser Zauber…«
Wenn das so einfach wäre, dachte Charlotte amüsiert. Besser war schon, dass die Träger Chinin eingenommen hatten.
Am Abend saßen die vier Weißen wieder zusammen unter dem aufgespannten Vordach, und Dr. Meyerwald hatte zum Thema Magie eine Menge eigener Erfahrungen und Beobachtungen beizutragen. So habe er im Inland vor Jahren eine mpepo, eine Zauberin gesehen, ein scheußlich fettes Weib, mit grellrot und weiß bemaltem Gesicht, in bunte Tücher und Perlenschnüre gewickelt und mit einem Leopardenfell behängt. Sie habe sich vollkommen verrückt gebärdet, die Augen gerollt, die Finger zu Krallen geformt, er selbst habe sich nur durch einen behänden Sprung zur Seite vor dieser Megäre retten können. Vermutlich habe das Weib Pilze oder Pflanzengifte gefressen und sei davon in den Zustand der Besessenheit geraten, denn mpepo bedeute eigentlich » Wind« oder » Sturm«. Sie habe eine Dienerin bei sich gehabt, die die dawa – so nennt man hierzulande die Arzneien und Zaubergebräue– der Hexe an die Schwarzen verkaufte, wahrscheinlich
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