Himmel über dem Kilimandscharo
Lassen Sie mich bitte!«, murmelte sie schließlich und machte sich von ihm los. » Ich komme schon allein zurecht.«
Am nächsten Morgen erschien sie mit gewaschenem Haar und vollständig angekleidet im Wohnraum, wo von Roden und Dr. Brooker sich gerade bemühten, ihre Frühstücksgespräche so leise wie möglich zu führen. Beide Männer sahen sie überrascht an, Dr. Brooker begrüßte sie überschwänglich und behauptete, die Damen seien das wahre starke Geschlecht. Max von Rodens Blick war ernst. Man hatte kein Gedeck für sie aufgelegt, was jetzt schleunigst nachgeholt wurde.
» Falls Sie nichts dagegen haben, würde ich gern mit Ihnen gemeinsam nach Moshi reiten«, verkündete sie Dr. Brooker. » Sie werden doch heute noch aufbrechen?«
Seine Heiterkeit legte sich ein wenig, und er warf von Roden einen fragenden Blick zu. Dann entschloss er sich dazu, ein wohlwollendes Lächeln aufzusetzen.
» Liebe junge Frau! Ich verstehe Ihren Kummer, aber Ihr Mann ist nun einmal tot und beerdigt– es kann ihm nicht mehr viel nutzen, wenn Sie sich auf diesem Ritt den Hals brechen. Sie sind noch zu schwach.«
» Sie schlagen mir meine Bitte also ab?«
» Das tue ich zwar nur sehr ungern, aber als Arzt muss ich Ihnen raten…«
» Lassen Sie nur«, unterbrach ihn Max von Roden kurz angebunden. » Ich selbst werde Frau Ohlsen begleiten, und wenn Sie mögen, können Sie sich uns anschließen.«
Es war ihr nicht recht. Sie wollte nicht, dass er ihretwegen seiner Arbeit fernblieb, vielleicht gab es auch einen anderen Grund für ihr Unbehagen, doch darüber mochte sie jetzt nicht nachdenken. Sie wollte überhaupt nicht denken, die Nacht war schlimm genug gewesen, hatte unzählige Bilder in ihrer Erinnerung aufgewühlt– schöne und schreckliche, heitere und unglückselige. Christian war tot, elend gestorben in diesem Land, in das sie ihn so hoffnungsfroh geführt hatte.
Dichte Nebel hatten sich auf die Pflanzungen der Dschagga und den darüber liegenden Regenwald gesenkt, schufen die Illusion, als befände sich hinter diesen weißlichen Schwaden nichts als der leere Himmel. Der Kilimandscharo war unsichtbar, es gab ihn nicht mehr, er war nur ein Märchen, das die Eingeborenen erzählten. Der Berg des bösen Geistes.
Überrascht stellte sie fest, wie gut sie sich auf dem Maultier hielt, vielleicht lag es daran, dass sie all ihre Aufmerksamkeit auf den Ritt lenkte, um nur nicht denken zu müssen. Sie erkannte die Stelle wieder, an der ihr Reittier durchgegangen war, den Ort, wo sie, gebeutelt von der Krankheit, gestürzt war, sah die abgebrochenen Äste, das Bachbett, das man sie hinaufgetragen hatte. Max von Roden ließ Dr. Brooker und zwei seiner schwarzen Angestellten vorausreiten und hielt sich stets dicht hinter Charlotte. Sie spürte seinen aufmerksamen Blick in ihrem Rücken, spürte, dass er sich um sie sorgte und ihr zur Seite springen würde, sollte sie ein Schwächeanfall überkommen. Doch sie spürte noch etwas anderes: eine gegenseitige Anziehung, die an jenem Abend am Klavier Christians Eifersucht herausgefordert hatte, was ihr jetzt bitter leidtat.
Die angenehme Temperatur der Plantagenregion war längst drückender Hitze gewichen, rötlicher Staub bedeckte Reiter und Maultiere, als sie die Militärstation in Moshi erreichten. Schwarze Arbeiter schufteten dort unter Aufsicht einiger Askari an der Erweiterung der Anlage, man hörte sie singen, während sie Steine klopften und in Mörtelkübeln rührten. Im Innenhof des Stationsgebäudes marschierten Askari-Soldaten in bunten Uniformen stolz im Gleichschritt, ihr Befehlshaber war ein Askari im Rang eines Effendi, der seine Kommandos mit wütendem Gesichtsausdruck und in deutscher Sprache brüllte.
Hauptmann Johannes und seine Offiziere empfingen die Witwe des verstorbenen Christian Ohlsen mit großer Herzlichkeit, ganz wie Dr. Brooker es ihr vorausgesagt hatte. Man kondolierte ihr rücksichtsvoll, bedauerte zutiefst, dass ihr Ehemann– wie so viele andere– als mutiger Pionier in der deutschen Kolonie sein Leben gelassen hatte, und der Hauptmann erwähnte beiläufig, dass noch im vergangenen Jahr zwei unglückliche junge Missionare der Leipziger Mission von den Dschagga am Meru-Berg hinterrücks ermordet worden waren. Sie habe großes Glück gehabt, mit dem Leben davongekommen zu sein.
» Dieses Land fordert bittere Opfer von uns allen!«
Charlotte schauderte es bei dieser Nachricht. Sie erkundigte sich nach dem Grab ihres Mannes und erfuhr, dass es
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