Himmel über dem Kilimandscharo
Plantage wird nicht geprügelt wie bei den Buren, und es gibt auch keine kiboko, höchstens mal ein hartes Wort, und wenn einer gar zu frech wird, gebrauche ich meine Fäuste. Schließlich sind wir von ihnen abhängig. Aber so, wie Sie sich das denken, funktioniert das nicht…«
Sie stritten bis spät in die Nacht hinein, doch zu Charlottes großer Erleichterung schienen sie es beide mehr als ein Spiel zu betrachten, einen Austausch von Argumenten, einen sportlichen Kampf mit dem Florett, bei dem man den Gegner nicht wirklich verletzen, sondern nur seine Überlegenheit beweisen will. Es war George, der Max immer wieder herausforderte, ihn reden ließ und dann mit einer scheinbar harmlosen Frage einhakte. George, der über diese Dinge schon seit Jahren nachgrübelte, ohne eine Lösung gefunden zu haben, und Max, der so genau zu wissen glaubte, wo der richtige Weg lag, ohne lange darüber nachdenken zu müssen. Als sie zu Bett gegangen war, hörte sie nebenan immer noch ihre gedämpften Stimmen, und sie fand es merkwürdig, dass sie dabei so ruhig einschlafen konnte.
George brach schon am folgenden Morgen auf, er hatte sich mit Freunden unten in Moshi verabredet und wollte sie nicht warten lassen.
» Ich bin sehr froh, dass du so glücklich bist«, sagte er beim Abschied zu ihr. » Du hast es verdient, Charlotte.«
In diesem Augenblick erkannte sie die Trauer in seinen Augen, und sie hielt seine Hand länger fest, als es nötig gewesen wäre.
» Sei vorsichtig«, warnte sie ihn beklommen. » Der Aufstieg ist nicht ungefährlich. Schon viele, die es versucht haben, sind nicht zurückgekommen.«
Er lachte und erwiderte voller Ironie, der böse Geist dort oben könne mit einem wie ihm nicht viel anfangen. Charlotte blieb unter dem Dach des Vorbaus stehen, als er davonritt, und plötzlich krampfte sich ihr Herz zusammen. Er erschien ihr unendlich einsam.
» Was für ein sympathischer Kerl«, sagte Max. » Ich bin zwar in vielem nicht seiner Meinung, aber dennoch hat er mir gewaltig imponiert. Ich hoffe, er besucht uns bald wieder.«
» Ja, das wäre nett…«
Sie war sich sicher, dass sie George Johanssen niemals wiedersehen würde.
September 1899
Charlotte warf die Salatköpfe in den Korb und stützte ihren schmerzenden Rücken mit beiden Händen, während sie sich aus der gebückten Stellung aufrichtete. Selbst im Schatten der Obstbäume war es unerträglich warm, kein Lüftchen regte sich, der Himmel war von Dunst überzogen, in dem die Sonne wie eine gleißende, lichtgelbe Kugel stand.
» Bauch ist groß!«, sagte Hamuna grinsend und beschrieb mit dem Arm einen weiten Bogen vor ihrem eigenen Bauch. » Großer Bauch und Schmerz im Rücken– binti.«
» Ach, Hamuna! Du mit deinen Voraussagen!«, stöhnte Charlotte und wischte sich den Schweiß von der Stirn. » Gestern hast du noch gesagt, es wird ein kijana, weil meine Füße geschwollen waren.«
» Binti – kijana – Mädchen oder Junge– beides ist möglich«, redete sich Hamuna schlau heraus.
» Nimm noch ein paar Maiskolben und Zitronen mit. Und Weißkohl– damit werden wir demnächst wohl die Ziegen füttern müssen, wenn ich nicht endlich lerne, Sauerkraut zu machen.«
All ihre Versuche waren bisher fehlgeschlagen, das Zeug hatte geschäumt und fing dann an zu schimmeln, so dass sie es hatte fortwerfen müssen. Sie blickte noch einmal nach Norden, wo sich der große Berg hinter dem Dunst verborgen hielt, und zupfte dann einige dicke Radieschen heraus, die unbedingt gegessen werden mussten, das Kraut begann schon zu schießen. Wie seltsam, dass sie hier in Afrika die gleichen Gartenfrüchte pflanzen und ernten konnte, die auch im Gärtchen der Großmutter in Leer gestanden hatten. Damals war ihr diese Arbeit schrecklich langweilig erschienen– jetzt konnte sie gar nicht genug davon bekommen, lief wohl zehnmal täglich hinaus, um ihre » Damenplantage«, wie Max den Garten nannte, zu begutachten, dabei freute sie sich über jedes Kräutlein und jeden Kohlkopf.
Sie hatte gerade den Korb ergriffen und kämpfte gegen das Sodbrennen an, das sie jedes Mal plagte, wenn sie sich bückte, als sie Hamunas überraschten Ausruf vernahm.
» Schau, bibi Roden! Kongoti sitzt auf Baum.«
In einem Eukalyptusbaum saß wahrhaftig ein Storch. Er hatte sich auf einer unbelaubten Astgabel niedergelassen und hockte dort unsicher auf dürren Beinen, den langen, roten Schnabel an den gebogenen Hals gepresst. Charlotte hatte noch nie einen Storch auf der Plantage
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