Himmel über dem Kilimandscharo
nicht erklären konnte. Hoffentlich war es kein Ungeziefer oder gar ein Pilzbefall, das hätte das Ende ihrer Hoffnungen bedeutet, schließlich sollte der Sisal in einigen Jahren zu ihrer einzigen Einnahmequelle werden.
Sie ließ sich von Sadalla und drei anderen schwarzen Angestellten begleiten und nahm ein Gewehr mit. Sie selbst hielt diesen Aufwand für überflüssig, aber Max hatte sie darum gebeten, nachdem einige Dschagga-Stämme im vergangenen Dezember Moshi angegriffen hatten. Die Nachricht war ein ziemlicher Schrecken für sie alle gewesen, schlimmer noch die darauf folgenden Strafexpeditionen der Schutztruppe. Von der Plantage aus hatten sie den Rauch der brennenden Hütten sehen können, auch hatte man die gerade erst wieder aufkeimenden Pflanzungen der Dschagga niedergetrampelt und abgebrannt. Max hatte diese Vorgänge zwar tief bedauert, aber letztlich für notwendig befunden. Rebellion arte stets in Mord und Gewalt aus, davor müssten die weißen Pflanzer, ihre Frauen und Kinder geschützt werden.
Charlotte schaute zuerst in der Arbeitersiedlung vorbei, besah sich ein durchgerostetes Wellblechdach und versprach, Abhilfe zu schaffen, dann bewunderte sie drei bunte Zicklein, die am Morgen auf die Welt gekommen waren. Vor allem redete sie den Frauen ins Gewissen, die ihren Nachwuchs so ungern in ihre Schule schickten, weil sie Lesen, Rechnen und Schreiben für überflüssige, ja sogar gefährliche Künste hielten, die nur für die Weißen gut waren, nicht aber für afrikanische Kinder. Sie erhielt zögerliche Versprechungen, die Frauen waren ihr wohlgesonnen, sie kamen inzwischen häufig mit ihren Kindern zum Wohnhaus, um sich mit Salben gegen Wunden und Geschwüre versorgen zu lassen. Aber Charlotte wusste aus Erfahrung, dass auf ihre Zusagen wenig Verlass war: Sie würden die Kinder für ein oder zwei Tage schicken, dann blieben sie wieder daheim.
Während sie langsam durch die Pflanzungen ritt, vergaß sie ihren Verdruss und genoss stattdessen den Anblick der aufblühenden Kaffeebäume, atmete ihren bittersüßen Duft und freute sich darüber, dass die Bananenstauden zwischen den Kaffeebäumchen wieder üppig emporschossen. Die große Regenzeit hatte in diesem Jahr ausgiebig Feuchtigkeit gebracht, was dem Kaffee gutgetan hatte, den Agaven allerdings weniger, sie liebten es eher heiß und trocken. Manchmal fragte sie sich, ob Max mit dem Sisal aufs richtige Pferd setzte, doch er war fest von der Richtigkeit seiner Entscheidung überzeugt. In diesem Jahr nun wollten sie endlich die erste Ernte einbringen– der Bedarf an Sisalfasern war groß, wenn sie gute Qualität liefern konnten, würde es mit ihren Finanzen bald besser aussehen. Max hatte im vergangenen Jahr Geld leihen müssen, um Mais, Saatfrüchte und Hirse einzukaufen, anders hätten sie die Arbeiter nicht ernähren können, die durch die Heuschreckenplage alle Feldfrüchte eingebüßt hatten. Auch viele Dschagga waren auf der Plantage erschienen und hatten um Arbeit und Essen gebeten; sie erzählten, dass ihre Frauen und Kinder hungerten, und so versuchte Max, so viele wie möglich von ihnen zu beschäftigen, doch ihre Vorräte konnten nicht für alle reichen.
Die Sonne brannte jetzt heiß vom Himmel, und sie war froh über den leichten Wind, der ihr die Schläfen kühlte. An schattigen Plätzen sah man noch die letzten Tautropfen auf den Blättern der Kaffeebäume; wenn ein Sonnenstrahl sie traf, funkelten sie in den bunten Farben des Regenbogens. Charlotte beschirmte die Augen mit der Hand und blickte über die sanft ansteigenden Anlagen, die sich bis hinauf zum Regenwald erstreckten. Auch das Land, das Max an die Dschagga hatte abgeben müssen, gehörte jetzt wieder zur Plantage, sie hatten es im Zuge der Strafexpeditionen gegen die Eingeborenen zurückerhalten. Früher hatte sie Max’ Besitzerstolz ein wenig belächelt, jetzt verspürte sie selbst eine ungeheure Freude beim Anblick dieses Landes, das ihnen beiden gehörte und das eines Tages ihre Kinder erben würden. Die viereckigen Kaffeefelder glichen lichten Hainen, in denen sich die hellgrün und gelb gefärbten Bananenstauden mit dem dunkleren Grün der Kaffeebäumchen mischten, an einigen Stellen waren ihre Äste schon mit weißem Blütenschaum überzogen. Ein Stück weiter hinten reckten silbrig glänzende Agaven ihre dornenbewehrten Blätter steil zum Himmel– ein fremdartiger Zauberwald, Refugium für graue Echsen und schuppenbewehrte Drachen. Wie seltsam, dass gerade diese
Weitere Kostenlose Bücher